17. Sonntag i. Jk. - Lj. B


Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!

"Als er ausstieg und die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er lehrte sie lange", mit diesen Worten endete der Abschnitt des Markusevangeliums, den wir am vergangenen Sonntag gehört haben.
Im Anschluss daran berichtet auch das Markusevangelium, wie sich Jesus tatsächlich als Guter Hirte erweist und seiner Herde zu essen gibt. Auch das Markusevangelium kennt die Erzählung von der Brotvermehrung und der wunderbaren Speisung.
Trotzdem haben wir von dieser Begebenheit heute aus dem Johannesevangelium gehört. Bei Johannes schließt sich nämlich an die Brotvermehrung die Rede vom Brot des Lebens an, die wir dann an den folgenden Sonntagen hören werden.

Es gibt verschiedene Erklärungsmodelle, wie die wunderbare Speisung der Fünftausend, von der wir soeben gehört haben, geschehen sein kann. Einige meinen, die Jünger hätten geahnt, dass es knapp werden könnte und hätten Vorräte mitgehabt, die sie unbemerkt unter die Menge gebracht hätten, sodass sich das Brot "vermehrte". Andere heute sehr beliebte Deutungen sagen, die Menschen hätten Vorräte mitgehabt, die sie unter dem Eindruck der Geste Jesu dann doch miteinander geteilt hätten.
Ich meine aber, dass all diese rationalistischen Erklärungsversuche der Aussageabsicht des Evangeliums nicht wirklich gerecht werden können. Es geht den Evangelien in erster Linie ja nicht darum, wie das Wunder zustande gekommen ist. (Außerdem würde das Wunder durch solche Modelle ja nicht erklärt, sondern wegerklärt.) Nein, es geht den Evangelien nicht um das Wie, sondern - gerade dem Johannesevangelium - um das Warum der Wunder oder besser gesagt: der Zeichen, wie sie bei Johannes heißen.

Eine interessante Deutung der Brotvermehrung in diesem Sinne gibt der deutsche Bibelwissenschaftler Rudolf Pesch (+ 2011). Er geht aus von der Materie, die vermehrt wird: Fünf Brote und zwei Fische.
Dabei bemerkt er, dass in der Lebenswelt damals das Brot als Grundnahrungsmittel gegolten hat - diese Sicht haben wir uns ja bis heute irgendwie bewahrt. Der Fisch hingegen galt als Zukost der Mahlzeit.

Das Brot steht also für das, was der Mensch zum Leben braucht. Rudolf Pesch erinnert dabei auch an eine Grundeinsicht Israels aus dem Buch Deuteronomium, die auch Jesus bei seiner Versuchung durch den Satan zitiert: "Der Mensch lebt nicht von Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt." (Dtn 8,3)
Brot als Grundnahrungsmittel, als das, was der Mensch zum Leben braucht, auch als Ausdruck des Wortes, der Zuwendung Gottes. Dazu kommt noch die symbolische Zahl fünf. Die fünf Brote stünden, so Pesch, demnach für die fünf Bücher des Mose, für die Tora, die für den gläubigen Juden dieses Wort Gottes in besonderer Weise enthält und so zum buchstäblichen Ausdruck der Hinwendung Gottes zu seinem Volk wird.

Nun zu den zwei Fischen. Wenn die fünf Brote für das Grundnahrungsmittel der Tora, der Bundesworte Gottes, stehen, was kann dann unter der Zukost der zwei Fische verstanden werden? Für Rudolf Pesch ist klar: Die Zukost zur Tora sind die zwei weiteren Teile der jüdischen heiligen Schrift: die Propheten und die Schriften, die die Tora auslegen.

Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!
Wodurch also geschieht gemäß der Deutung von Rudolf Pesch die Sättigung der Menschenmenge? Durch nichts anderes als durch die Zuwendung Gottes - ausgedrückt durch die fünf Brote der Tora - und die Erklärung derselben - durch die zwei Fische der Propheten und der Schriften, letztlich durch Jesus selbst.
Mit den Worten von Rudolf Pesch:
"Die durch die Propheten und Weisheitslehrer und zuletzt durch den Messias Jesus ausgelegte Sozialordnung Israels genügt - würde sie gehalten, würde sie erfüllt -, um allen Hunger im Volk Gottes und dann auch in der Welt zu beseitigen."  (R. Pesch: Über das Wunder der Brotvermehrung, Frankfurt am Main 1995, S.134)
Mit der reinen Speisung ist die Erzählung aber noch nicht zu Ende. Die Zuwendung Gottes stillt nicht nur den Hunger, sondern bringt noch Überfluss hervor: "Sie sammelten und füllten zwölf Körbe mit den Stücken, die von den fünf Gerstenbroten nach dem Essen übrig waren."

Wenn wir die Zahlen fünf und zwei symbolisch ausgelegt haben, dürfen wir wohl auch die Zahl zwölf symbolisch sehen. Zwölf ist die Zahl der Stämme Israels, die Zahl des Volkes. Zwölf ist von da ausgehend auch die Zahl der Apostel, die Zahl der Kirche als des neuen Volkes Gottes.
Die Kirche lebt nicht nur aus der Stillung des Hungers, aus dem reinen Minimum, sondern aus dem Überfluss der Zuwendung und Gnade Gottes.

Liebe Brüder und Schwestern!
An die Erzählung von der wunderbaren Speisung schließt sich bei Johannes dann die Rede vom Brot des Lebens an, die wir an den kommenden Sonntagen hören werden und die in der Aussage Jesu gipfelt: "Ich bin das Brot des Lebens."
Die Zuwendung Gottes ist nichts Abstraktes. Sie ist so konkret wie das Brot, das wir zum Überleben brauchen. Bereits im Alten Bund hat sie sich konkretisiert in den Worten der Tora. "Die Zuwendung Gottes ist Wort geworden", könnten wir sagen. Und das Neue Testament sagt uns: "Dieses Wort ist Fleisch geworden" - Jesus Christus ist die menschgewordene Zuwendung Gottes zu uns.

Ein letzter Gedanke: Es ist wohl nicht zufällig, dass sich diese Zuwendung Gottes im Zeichen des Brotes ausdrückt und Jesus im Verlauf der Rede sagen wird: "Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, ich gebe es hin für das Leben der Welt."
In der Feier der heiligen Messe dürfen wir immer neu dabei sein, wenn Jesus uns sein Fleisch als Brot des Lebens schenkt. Hier erfahren wir in besonderer Weise die Zuwendung Gottes, den Überfluss seiner Gnade.
Freilich empfangen wir diesen Überfluss nicht einfach nur als Verschwendung, sondern wir sind aufgerufen, "ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging", wie es der hl. Paulus in der Lesung aus dem Epheserbrief ausdrückt.
Wir empfangen die Gnade Gottes, um sie selber unseren Mitmenschen weiterzuschenken: "Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe, und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren".
Am Ende der hl. Messe steht daher das Wort: "Gehet hin in Frieden!" Im lateinischen Original heißt dieser Satz eigentlich "Ite missa est" - Geht, es ist Sendung! Ihr seid gesendet - hinaus in die Welt, um das, was ihr jetzt erfahren habt, die Zuwendung Gottes zu uns Menschen, durch euer Leben in der Welt spürbar und erfahrbar zu machen.


Zu den liturgischen Texten

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Heilige Geistkraft statt Heiligem Geist? - Kritische Anmerkungen

17. Sonntag i. Jkr. - Lj. A