1. Adventsonntag - Lesejahr C

"Alles schäft, einsam wacht ..."

Vor 200 Jahren am Heiligen Abend wurde das Lied "Stille Nacht" zum ersten Mal gesungen. In der Vorbereitung auf dieses Jubiläum versuche ich, mich an den Adventsonntagen jeweils auf den Text einer Strophe zu beziehen.

Jetzt ist sie also wieder da, die heimelige, stille Zeit der Weihnachtslieder, der stimmungsvollen, manchmal fast schon kitschigen Weihnachtsdekoration, der Advent- und Christkindlmärkte, für viele die schönste Zeit im Jahr.
Ein Lied, ohne das Weihnachten für die meisten von uns undenkbar ist, ist das berühmte Lied von Joseph Mohr und Franz Gruber "Stille Nacht, heilige Nacht". Wahrscheinlich kein anderes Weihnachtslied ist so sehr mit Emotionen verbunden. Und in diesem Jahr jährt sich die Entstehung dieses Liedes zum 200. Mal. Aus diesem Anlass wollen wir an den Sonntagen des Advents, der Vorbereitungszeit auf Weihnachten, einzelne Strophen dieses Liedes betrachten. Wir beginnen damit heute mit der ersten Strophe:


"Stille Nacht, heilige Nacht! Alles schläft, einsam wacht nur das traute, heilige Paar. Holder Knab im lockigen Haar, schlafe in himmlischer Ruh!"
Welch großer Kontrast tut sich auf zwischen den Emotionen, die mit "Stille Nacht" verbunden sind, und den liturgischen Texten des heutigen Sonntags! Da ist nicht viel die Rede von Stille, Ruhe und Frieden, von himmlischer Ruh, von heiterer Geselligkeit, von schönen Abenden im Kreis der Familie. Im Gegenteil, das Evangelium spricht von Naturkatastrophen, von Zeichen am Himmel, vom Toben und Donnern des Meeres, von der Erschütterung der Himmelskräfte, von existentieller Angst, vom Ende der Welt und vom Jüngsten Gericht.

Wie passt das zusammen? Will uns die Kirche Angst machen, uns unsere vorweihnachtliche Freude nehmen? Macht sie uns die schönste Zeit im Jahr zu einer Zeit des Zitterns vor dem Ende?

Liebe Brüder und Schwestern!
Die Adventzeit hat tatsächlich einen doppelten Charakter: Auf der einen Seite ist sie natürlich die Vorbereitungszeit auf Weihnachten und bringt uns auch die biblischen Überlieferungen in Erinnerung, die wir in unseren Weihnachtsliedern besingen.
Andererseits ist der Advent, vor allem der erste Teil des Advents, in der Liturgie geprägt von Erinnerung und Mahnung zur Wachsamkeit in Erwartung der Wiederkunft Christi am Ende der Zeiten.

Advent ist nicht nur die stille Zeit. Er will uns wachrütteln, uns sagen: Es wird ernst. Denn einmal müssen wir Rechenschaft ablegen über unser Leben. Am Ende unseres Lebens und am Ende der Welt werden die Engel keine Wiegenlieder singen im Stile von "schlafe in himmlischer Ruh", sondern - so heißt es in einem vielfach verwendeten, sprechenden Bild - der Ruf der Posaune wird alle vor den Richterstuhl Gottes einberufen.

Aber - und das ist die tröstliche und hoffnungsvolle Botschaft des Christentums - wir wissen, wer es ist, der am Ende wiederkommt und uns richten wird. Wir wissen es, weil er schon einmal gekommen ist: Er ist nicht als mächtiger und Furcht erregender Tyrann und Diktator gekommen, sondern als "holder Knab im lockigen Haar", als kleines Kind, in Windeln gewickelt und in eine ärmliche, stinkende Futterkrippe gelegt.

Liebe Brüder und Schwestern!
Der Advent ist eine Zeit der Einübung. Wir sollen die Wachsamkeit üben, die unser ganzes Leben prägen soll. Wenn wir das Bild vom ersten Kommen Christi vor unserem geistigen Auge haben, dann kann dieses Wort von der Wachsamkeit aber eine weitere, tiefere Bedeutung bekommen.
"Alles schläft", heißt es im Lied. Ja, die meisten Zeitgenossen haben das Kommen Jesu verschlafen. "Einsam wacht nur das traute, heilige Paar". Und worin besteht diese Wachsamkeit von Maria und Josef? Es ist nicht nur und nicht in erster Linie die Wachsamkeit eines Soldaten, sondern die wachende Sorge liebender Eltern. Jesus ist als hilfsbedürftiges Kind zur Welt gekommen; und so wird er uns am Ende auch als Richter fragen, wie wir den Hilfsbedürftigen begegnet sind. Wir erinnern uns an sein Wort: "Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." (Mt 25,40) - Wenn alle wegschauen, wenn "alles schläft", dann ist von uns Christen diese Wachsamkeit gefordert.

Damit uns dieser Vorsatz nicht nur in der Adventzeit, sondern unser ganzes Leben lang gelingen kann, dürfen wir immer neu die Bitte an den uns liebenden Gott aus dem heutigen Tagesgebet wiederholen: "Hilf uns, dass wir auf dem Weg der Gerechtigkeit Christus entgegengehen und uns durch Taten der Liebe auf seine Ankunft vorbereiten."
Amen.


Zu den liturgischen Texten
Zum Lied "Stille Nacht"

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