4. Sonntag i. Jkr. - Lj. B

Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!

Ich möchte heute unsere Aufmerksamkeit auf den Antwortpsalm lenken. Ein Text, der oft übersehen oder sogar durch irgendeine Liedstrophe ersetzt wird (was eigentlich die absolute Ausnahme sein sollte). Auch die Psalmen sind Teil der hl. Schrift. Wir antworten auf das Wort Gottes in der hl. Schrift (in der ersten Lesung) mit Worten, die uns ebenfalls die hl. Schrift in den Mund legt, wenn wir den Antwortpsalm sprechen oder in "normalen" Zeiten singen. Für den heutigen Sonntag sieht die Leseordnung dazu Verse aus Psalm 95 (nach griechischer und lateinischer Zählung: 94) vor. Es ist dies ein Psalm, der in der Stundenliturgie, im "Brevier", im sogenannten Invitatorium am Beginn eines jeden Tages steht. - "Kommt, lasst uns jubeln vor dem Herrn", mit dieser Selbstaufforderung beginnt der tägliche Gottesdienst der Kirche.

Um den Text des Psalms zu verstehen, müssen wir ein wenig eindringen in den Kontext, den er voraussetzt, müssen seinen "Sitz im Leben" betrachten. Die Bibelwissenschaft sagt uns, dass Psalm 95 ein altes Wallfahrtslied gewesen sein dürfte. Er wird angestimmt von der Pilgergruppe, die sich auf den Weg nach Jerusalem gemacht hat und nun beim Tempel angekommen ist. Und hier bricht nun der laute Jubelgesang aus - so ähnlich wie wenn ein berühmter Musiker oder Filmstar von seinen Fans lautstark bejubelt wird, dürfen wir uns das wohl vorstellen. Doch dieser Jubel gilt nicht einem Menschen, etwa dem König, der ja auch in Jerusalem nahe des Tempels seinen Sitz hat, sondern er gilt Gott. Ja, er gilt dem Gott, der über allen anderen Göttern als König thront. Wenn man davon ausgeht, dass es zur Zeit der Entstehung des Psalms noch weitere Tempel heidnischer Götter im Jerusalemer Palastbezirk gegeben hat, gewinnt diese Aussage zusätzliche Schärfe: Es mag sein, dass hier auch andere Götter verehrt werden, doch unser Gott stellt sie alle in den Schatten!

Das wird dann noch weiter verdeutlicht, wenn in den Versen, die heute im Antwortpsalm ausgelassen worden sind, gesagt wird, dass auch die Tiefen der Erde und die Gipfel der Berge in seiner Hand sind und er Meer und Land geschaffen hat:

  • Die Tiefen der Erde, die tiefsten Abgründe - das sind jene Regionen, die gemäß heidnischen Vorstellungen nicht im Einflussbereich der Götter liegen, sondern von dunklen Mächten bewohnt und regiert werden. - Unser Gott steht über allem! (Ein kleiner Anklang daran kann es auch sein, wenn auch der Dämon im Evangelium Jesus als den "Heiligen Gottes" bekennen muss.)
  • Die Gipfel der Berge - das ist die Wohnung der heidnischen Gottheiten. - Doch aus diese sind in der Hand unseres Gottes.
  • Und das Meer ist sozusagen ein Überbleibsel des alten Chaosmeeres, des Zustandes vor der Schöpfung, das, was nicht von der Schöpfermacht der Götter berührt wurde. - Unser Gott steht auch darüber als der Schöpfer und Lenker.
  • Schließlich wird noch das trockene Land erwähnt, der Lebensraum des Menschen. - Auch dafür zeichnet unser Gott verantwortlich.

Angesichts dieses Gottes, der als so viel mächtiger bekannt und erlebt wird als alle fremden Götter, von denen die Propheten später sogar sagen werden, dass sie gar nicht existieren; angesichts dieses Gottes kann es nur eine mögliche Reaktion der Pilger geben, die nun zu seinem Tempel hintreten: "Kommt, wir wollen uns niederwerfen, uns vor ihm verneigen, lasst uns niederknien vor dem Herrn, unserem Schöpfer!" - freilich in der Gewissheit, dass dieser große und erhabene Gott auch auf uns ganz persönlich schaut: "Denn er ist unser Gott, wir sind das Volk seiner Weide, die Herde, von seiner Hand geführt."

Liebe Brüder und Schwestern!

An diesem Punkt wechselt nun die Sprecherrolle im Psalm. Bisher hat der Chor der Pilger sein Loblied auf Gott gesungen bis hin zur wiederholten Einladung, diesen Gott anzubeten und sich vor ihm niederzuwerfen. Nun tritt ein einzelner Sprecher auf, vielleicht ein Tempelpriester, der den Pilgern, die sich gerade niedergeworfen haben, eine Predigt hält: "Würdet ihr doch heute auf seine Stimme hören!"

Es ist als wollte der Sprecher des Psalms den Pilgern eine Belehrung mitgeben, wie man diesen Gott, von dem sie gesungen haben, richtig anbetet, wie die Verehrung aussieht, die man ihm entgegenzubringen hat, wie sich der Glaube, den sie soeben bekannt haben, in ihrem Leben ausdrücken soll. Es genügt nicht, sich vor dem Altar Gottes hinzuwerfen - auf uns übertragen: Es genügt nicht, hier in der Kirche das Lob Gottes zu singen, sich etwa vor dem Allerheiligsten hinzuknien. Dieser äußeren, expliziten Geste der Anbetung muss auch eine innere Haltung und noch mehr ein Leben außerhalb der Tempel- bzw. Kirchenmauern entsprechen. "Würdet ihr doch heute auf seine Stimme hören!" - Würdet ihr doch nach seinen Geboten leben! Würdet ihr doch nach seinem Willen fragen! Würdet ihr doch ein Leben der Gottes- und Nächstenliebe führen! - Dann würdet ihr Gott tatsächlich die Ehre geben, die er verdient!

Als Negativbeispiel erwähnt der Sprecher des zweiten Psalmteils den "Tag von Massa": "Dort haben eure Väter mich versucht, sie stellten mich auf die Probe und hatten doch mein Tun gesehen." - Sie haben gesehen, dass ich der große Gott bin. Aber sie haben nicht entsprechend gehandelt. - "Darum habe ich in meinem Zorn geschworen: Sie sollen nicht eingehen in meine Ruhe", damit endet der Psalm. Die biblische Erzählung weiß: Niemand aus der Wüstengeneration, ja nicht einmal Mose, durfte das Gelobte Land betreten. Erst unter Josua konnte das Volk das Land in Besitz nehmen.

Dieses Ende des Psalms mag ein mahnendes Wort auch für uns sein! Ja, es ist gut, Gott anzubeten, ihn zu loben und zu preisen, den Gottesdienst in der Kirche mitzufeiern. Aber das ist nur die halbe Miete. "Würdet ihr doch heute auf seine Stimme hören!" - Nehmen wir uns diese Mahnung zu Herzen und leben wir auch außerhalb der Kirche so, wie wenn wir jederzeit vor Gott stehen würden! Denn "in seiner Hand sind die Tiefen der Erde, sein sind die Gipfel der Berge. Sein ist das Meer, das er gemacht hat, das trockene Land, das seine Hände gebildet." Darum kommt, "last uns niederknien vor dem Herrn, unserm Schöpfer" - nicht nur buchstäblich hier in der Kirche, sondern jederzeit und überall durch ein Leben nach seinen Geboten, durch ein Leben der Gottes- und Nächstenliebe!

Amen.

Zu den liturgischen Texten

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