Mariä Geburt ("Oberleiser Wallfahrtstage")
Hochwürdiger Herr Pfarrer!
Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!
Eine lange Reihe an Namen ist es, mit der Matthäus sein Evangelium beginnt. Leicht ist man wahrscheinlich geneigt zu sagen: Der heutige Evangeliumstext ist der langweiligste in der ganzen kirchlichen Leseordnung. Allerdings hat dieser monoton wirkende Stammbaum Jesu mehr in sich, als es auf den ersten Blick zu scheinen mag. Ich möchte mich heute auf drei Punkte daraus beschränken:
1. Die Erfüllung der Verheißung
Am Ende der langen Namensliste wird resümiert: Es sind von Abraham bis Jesus 3x14 Generationen. Dass der Evangelist das so dezidiert gliedert, kann uns vermuten lassen, dass er damit eine bestimmte Aussageabsicht verbindet. Zahlen in der Bibel spielen ja eine große symbolische Rolle. Dazu muss man wissen, dass Zahlen mit denselben hebräischen Schriftzeichen ausgedrückt wurden wie Buchstaben, sodass eben auch Wörter eine Zahlenbedeutung haben können. Und wenn man nun den Namen David, der in der Mitte unserer drei 14er-Gruppen steht, betrachtet, dann ergeben die hebräischen Buchstaben in "David" in Summe genau die Zahl 14. Wenn es also dreimal 14 Generationen sind - 3 ist auch eine besondere Symbolzahl, die für die Fülle oder die Ganzheit steht - dann will das sagen: Jesus, auf den dieser Stammbaum hinausläuft ist der neue, der vollkommene David, wobei David die Symbolfigur des Königs schlechthin ist, aus dessen Geschlecht man auch den Messias, den endgültigen Retter des Volkes, erwartet hat. Mit seiner Zusammenstellung und Gliederung des Stammbaums Jesu hat der Evangelist Matthäus also kunstvoll ausgedrückt, dass Jesus der ist, in dem sich die alten Verheißungen tatsächlich erfüllen, ja in dem sie sogar noch überboten werden (er ist eben "drei" mal David).
2. Eine unerwartete Wendung
Bei dieser Geradlinigkeit und Geordnetheit um David herum muss es die Leser des Evangeliums dann doch überrascht haben, dass der Stammbaum am Ende als er zu Jesus kommt, eine seltsame Abzweigung macht. Bisher ist von direkten Zeugungen die Rede gewesen. Nach damaligem Verständnis ist für die Abstammung einer Person eben die männliche Stammlinie maßgeblich gewesen. Abraham zeugte Isaak, Isaak Jakob, usw. Bei Josef angelangt, reißt diese Linie allerdings ab. Da heißt es dann einfach: "Josef war der Mann Marias, von ihr wurde Jesus geboren". Im Anschluss an den Stammbaum wird dann erzählt, wie Jesus auf wunderbare Weise von der Jungfrau geboren wurde, Josef ihn aber gleichsam "adoptiert" und so in den Stammbaum aufgenommen hat, der von Abraham über David eben bis zu ihm hinführt. Damit ist zwar die "rechtliche" Abstammung von David sichergestellt, doch ein mulmiges Gefühl kann schon bleiben. Jesus als der neue David tanzt aus der Reihe; er ist zwar rechtlich gesehen ein Ahne des großen Königs, er fügt sich aber nicht reibungslos ein in den Stammbaum. Ja, Gott geht andere Wege, als die Menschen erwarten würden. Er beginnt mit Jesus - und am Fest Mariä Geburt dürfen wir anfügen: vermittelt durch Maria - etwas Neues, freilich ohne das Alte beiseite zu lassen - Josef nimmt ihn eben auf in die Familie Davids - aber so, dass er alles nochmals in den Schatten stellt, dass er ganz anders handelt, dass er als "Messias" beispielsweise nicht der erwartete politische Befreier von der römischen Besatzungsmacht sein wird, sondern der, der das Volk, ja die ganze Menschheit, aus der Verstrickung in das Böse und die Sünde befreien und sie aufs Innigste mit Gott verbinden möchte.
3. Eine Geschichte der Skandale
Das führt mich auch zum dritten Punkt. Denn von Verstrickung in das Böse und in die Sünde spricht der Stammbaum am Beginn des Matthäusevangeliums beinahe in jeder Zeile. Man könnte hier viele biblische Erzählungen in Erinnerung rufen, die mit den Namen des Stammbaums verbunden sind: Jakob, der mit seinem Bruder Esau bricht; David selbst, der seine Frau Batseba, mit der er Salomo zeugt, nur durch einen hinterhältigen Auftragsmord an ihrem Ehemann heiraten konnte; Ahas, dem es nach dem Urteil des Propheten Jesaja nicht genügte, Menschen zu belästigen, sondern der auch noch Gott selbst belästigen wollte, ...
Eine besonders delikate Geschichte findet sich gleich zu Beginn des Stammbaums. Weil sie eher unbekannt ist, möchte ich sie kurz schildern: Es geht um Juda, einen der zwölf Söhne Jakobs, nach dem eben der Stamm Juda, der "königliche Stamm" benannt ist. Wir lesen da im Stammbaum: "Juda war der Vater von Perez und Serach", gefolgt von der lapidaren Feststellung: "ihre Mutter war Tamar". Doch wer war diese Tamar? Nun, zuerst war sie die Frau von Judas ältestem Sohn Er. Dieser ist aber bald nach der Hochzeit verstorben, ohne dass aus der Ehe zwischen ihnen Kinder hervorgegangen wären. Nach damaligem Recht war damit der nächstälteste Bruder in der Pflicht, sie zur Frau zu nehmen. Und damit war nun Onan, er nächstälteste Bruder des Er, an der Reihe. Aber der "ließ seinen Samen zur Erde fallen", sodass Tamar auch von ihm keine Kinder bekam. Kurz darauf starb auch Onan. Schließlich blieb noch der dritte Sohn Judas, Schela, übrig. Doch sein Vater Juda zögerte die Hochzeit hinaus, weil er fürchtete, auch sein jüngster Sohn könnte ihm durch die Heirat genommen werden. Wenig später stirbt die Frau Judas; da greift Tamar zu einer List: Sie umhüllt sich mit Tüchern und Kleidern und gibt sich als Prostituierte aus, die Juda aufsucht. Aus dieser Begegnung mit ihrem Schwiegervater wird Tamar schließlich schwanger - ohne dass Juda freilich gewusst hätte, dass es seine eigene Schwiegertochter gewesen wäre, mit der er sich vergnügt hatte. Als er nun bemerkt, dass Tamar schwanger ist, will er sie wegen Unzucht töten lassen. Tamar aber kann beweisen, dass Juda selbst es gewesen ist, der zur vermeintlichen Prostituierten gegangen ist.
Diese delikate Geschichte also, die vermutlich Stoff für so manche Verfilmungen bieten würde, steht relativ am Beginn des Stammbaums Jesu. Wir können zusammenfassen: Nachdem Tamar zwei bzw. drei verschiedene Männer gehabt hat, gibt sie sich als Prostituierte aus und wird von ihrem eigenen Schwiegervater schwanger, der im Nachhinein alles abstreitet und seine Schwiegertochter sogar umbringen lassen möchte. Perez, der den Stammbaum weiterführt, und sein Zwillingsbruder Serach sind aus dieser anrüchigen, für uns geradezu amüsant klingenden Familiengeschichte entstanden.
Ja, der Stammbaum Jesu ist nicht frei von Skandalen, Familiendramen, Eifersüchteleien, Mord und Totschlag. - Doch gerade so kann er für die Situation stehen, in die hinein Jesus als Retter geboren wird.
Schlussbemerkung, Reflexionsfragen
Was nehmen wir uns mit von diesem Stammbaum Jesu? Ich möchte versuchen, diese drei Punkte kurz zusammenzufassen und ein paar Fragen daraus abzuleiten, die wir uns in einer kurzen Stille stellen können.
1. Die Erfüllung der Verheißung
Gibt es auch in meinem eigenen Leben Unerfülltes? Vielleicht manche Sehnsüchte? Traue ich Jesus zu, auch mein eigenes Leben zu "erfüllen"?
2. Eine unerwartete Wendung
Bin ich bereit, mich auch von ihm überraschen zu lassen? Oder habe ich mein vorgefertigtes Bild, in das er sich einzupassen hat? Lasse ich mich auf ein Leben mit ihm ein, auch wenn es mich vielleicht auf unbekannte Pfade bringen wird?
3. Eine skandalöse Geschichte
Wo gibt es kleine und große Skandale in meinem eigenen Leben? Bin ich bereit, Jesus auch diese Seiten von mir hinzuhalten, damit er sie erlösen kann? Vielleicht sogar in einer ehrlichen Beichte?
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