Allerheiligen

Liebe HEILIGE, Brüder und Schwestern!

Ja, Sie haben richtig gehört. Vielleicht mag Ihnen diese Anrede etwas merkwürdig vorkommen, aber ich habe Sie soeben als "heilige Brüder und Schwestern" angeredet. Auch der hl. Paulus richtet viele seiner Briefe an die "Heiligen", an die "berufenen Heiligen" in Rom etwa (Röm 1,7) oder auch an andere Gemeinden, die er seine "heiligen Brüder" nennt.
Der heute Festtag aller Heiligen kann uns ein Anlass sein, über dieses Wort etwas nachzudenken, das doch in unserer Liturgie eine so zentrale Rolle spielt: Was heißt "heilig"? Wer ist ein "Heiliger"? Und wie kommt zum Beispiel Paulus dazu, die Christen schlechthin als "Heilige" zu bezeichnen?

Das heutige Fest lässt uns gleichsam einen Blick in den Himmel werfen. "Heute schauen wir deine heilige Stadt, unsere Heimat, das himmlische Jerusalem", heißt es in der Präfation der heutigen Messe. "Dort loben dich auf ewig die verherrlichten Glieder der Kirche, unsere Brüder und Schwestern, die schon zur Vollendung gelangt sind." - Dieser Begriff von den "Heiligen", die in der Freude des Himmels auf ewig mit den Chören der Engel den dreieinigen Gott loben und preisen, wird uns nicht überraschen. Wir kennen viele große Heiligengestalten mit Namen: die Gottesmutter Maria, den hl. Josef, die Apostel, die besonders beliebten Heiligen wie Nikolaus von Myra, Franz von Assisi, Antonius von Padua und viele andere. Andere Heilige sind uns wahrscheinlich etwas unbekannter und schließlich müssen wir sagen, dass die Schar der Heiligen noch viel größer ist als jene, die offiziell von der Kirche heiliggesprochen wurden. "Danach sah ich: eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen; niemand konnte sie zählen", so hat es in der ersten Lesung geheißen. Die Heiligen, das sind irgendwie besondere Menschen für uns, die zwar einmal hier auf dieser Erde gelebt, jetzt aber ihr Ziel erreicht haben und bei Gott im Himmel sind.

Die Präfation macht uns aber darauf aufmerksam, dass die Heiligen auch im Himmel nicht aufhören, unsere "Brüder und Schwestern" zu sein. Sie nennt die Heiligen auch die "verherrlichten Glieder der Kirche". Sie sind also nicht einfach nur in den Himmel erhoben, wo sie keinerlei Beziehung mehr zu uns hätten. Wir alle gehören in der Gemeinschaft der Kirche zusammen.
Und hierin liegt auch der Grund, warum Paulus seine Briefe an "die Heiligen" richten kann und damit Menschen meint, die - wie du und ich - noch hier auf dieser Erde weilen und "freudig dem Ziel der Verheißung entgegengehen", wie es in der Präfation weiterheißt.

Was also heißt es, "heilig" zu sein?
"Heilig" im eigentlichen Sinn ist eine Beschreibung des Wesens Gottes. Das Heilige ist das Göttliche; das, was nicht Teil dieser irdischen Welt ist, sondern dieser vielmehr zugrunde liegt. "Du allein bist der Heilige", heißt es im Gloria; und auch im Schlussgebet der heutigen Messe wird der Priester beten: "Gott, du allein bist heilig, dich ehren wir, wenn wir der Heiligen gedenken."
Wenn die verschiedensten Kulte im Laufe der Menschheitsgeschichte gewisse Orte, Gebräuche oder Gegenstände "heilig" genannt haben, dann deshalb, weil man sich darin irgendwie diese Macht des Göttlichen anwesend vorgestellt hat.
Von dieser Grundbedeutung her sind heilige Menschen also Menschen, die Gott gegenwärtig sein lassen. Oder anders gesagt: Menschen, durch die hindurch Gott erfahrbar wird.
Das gilt natürlich für die Heiligen im Himmel, die bereits die ewige Vollendung erlangt haben, die Gott von Angesicht zu Angesicht schauen dürfen. In einem Bild gesprochen: Wenn ich mich bei einer Wärmequelle aufhalte, so werde ich immer mehr von der Wärme erfüllt werden, die von der Quelle ausgeht. So sind die Heiligen im Himmel eben auch deshalb heilig, weil sie von Gott, der allein der Heilige ist, erfüllt sind.

Aber auch wir auf der Erde sollen Bilder Gottes sein; sollen unseren Mitmenschen zeigen, was es heißt, von Gott erfüllt zu werden; sollen in diesem Sinn eben ein heiliges Leben führen. So ist die Anrede als "heilige Brüder und Schwestern" nicht nur eine Auszeichnung, sondern auch eine Aufforderung. Die Seligpreisungen, die wir im Evangelium gehört haben, gilt es auch umzusetzen, damit die Anrede als "Heilige" keine leere Anrede bleibt, sondern immer mehr eine Wesensbeschreibung eines jeden einzelnen von uns wird.

Liebe Brüder und Schwestern!
Das heutige Fest Allerheiligen ist ein großes Fest der Kirche, ein großes Fest der Gemeinschaft derer, die zu Gott gehören, die seine "berufenen Heiligen" sind.
So schauen wir - wie es die Präfation sagt - in den Himmel.
- Die Heiligen, die wir als Vorbilder und Fürsprecher verehren, haben dieses Ziel erreicht. Sie haben ein Leben geführt, das ihrer Berufung gerecht wurde.
- "Dorthin pilgern auch wir im Glauben, ermutigt durch ihre Fürsprache und ihr Beispiel und gehen freudig dem Ziel der Verheißung entgegen", heißt es in der Präfation weiter. Ja, wir dürfen uns mit ihnen verbunden wissen. Wenn wir das Fest aller Heiligen feiern, feiern wir auch unser Fest, weil wir zur gleichen Gemeinschaft berufen sind.

Möge es uns nach dem Vorbild der großen Heiligen und mit ihrer Fürsprache gelingen, ein heiliges Leben zu führen, das die Heiligkeit Gottes durchscheinen lässt. Mögen wir einst mit ihnen vereint diese Heiligkeit Gottes selbst im Himmel verkosten dürfen.
Amen.

Zu den liturgischen Texten

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