2. Sonntag nach Weihnachten

Liebe Brüder und Schwestern!

Wer kennt sie nicht, die Spannung am hl. Abend bei den Kindern, wenn der Moment der Bescherung endlich gekommen ist! Ganz still und leise ist es vor der verschlossenen Tür, um das Christkind bei den letzten Vorbereitungen belauschen zu können. Vielleicht hört man ein Zündholz, mit dem die Kerzen entzündet werden, an der Schachtel entlanggleiten; oder man hört das Entzünden von Sternspritzern oder Spritzkerzen, die auf dem Baum hängen; und dann schließlich hört man endlich das Läuten einer kleinen Glocke, die uns anzeigt: das Christkind war da und hat die Geschenke gebracht.

So oder so ähnlich läuft in unseren Breiten das Weihnachtsritual in den Familien ab. In der Liturgie der Kirche stehen wir noch in der weihnachtlichen Festzeit und dieser zweite Sonntag nach Weihnachten lädt uns ein, nochmals das große Geheimnis von Weihnachten zu betrachten: Gott wird Mensch - "Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt."

"Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da stieg dein allmächtiges Wort, o Herr, vom Himmel herab, vom königlichen Thron." (Weish 18,14-15) - Diese Verse aus dem Buch der Weisheit, die in ihrem biblischen Kontext eigentlich von den Plagen sprechen, die auf Gottes Geheiß die Ägypter treffen, um sie zur Freilassung des versklavten Volkes Israel zu bewegen, stehen als Eröffnungsvers, als "Überschrift" über der Messfeier des heutigen Sonntags und sollen damit das Weihnachtsereignis kommentieren und illustrieren - "Als tiefes Schweigen das All umfing ... da stieg dein allmächtiges Wort, o Herr, vom Himmel herab".

Liebe Brüder und Schwestern!

Mich erinnern diese poetischen Worte geradezu an das familiäre Ritual am Heiligen Abend. Vom tiefen Schweigen ist da die Rede. Und wir erahnen es, dass dieses Schweigen ein erfülltes Schweigen ist, ein gespanntes Warten auf das, was passiert. Die schweigende Spannung, die die Kinder erfüllt, die auf die Bescherung warten; diese Spannung erfüllt das ganze Weltall, das auf den Eintritt Gottes in die Welt wartet. Und wie das Läuten des Weihnachtsglöckchens plötzlich die Spannung aufhebt, sich die Tür öffnet und die Kinderaugen vor dem Christbaum und den Geschenken zu leuchten beginnen, so entlädt sich die Spannung des Weltalls in dem Augenblick, in dem Gott zur Erde herabsteigt: "da stieg dein allmächtiges Wort, o Herr, vom Himmel herab, vom königlichen Thron".

Wenn wir alljährlich diese Spannung des Weltalls, dieses tiefe Schweigen, dieses Warten auf die Ankunft des ersehnten Retters durch unsere familiären Rituale (ob bewusst oder unbewusst) nachstellen, dann soll uns das freilich auch darauf hinweisen, dass das Weihnachtsereignis - der Eintritt Gottes in die Welt - nicht etwas ist, das sich einmal vor über 2000 Jahren ereignet hat und auf das wir bestenfalls dankbar zurückblicken können. Nein, dieser Eintritt Gottes in die Welt ist kein abgeschlossenes Ereignis, sondern immer aktuelles Geschehen - zu jeder Zeit, an jedem Ort.

In ganz besonderer Weise, geradezu in "verdichteter" Form können wir diesen Eintritt Gottes in unsere Welt jedesmal erleben, wenn wir die hl. Messe mitfeiern. Vielerorts hat sich der alte Brauch erhalten, dass bei der Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi von den Ministranten Glocken geläutet werden. Vielleicht könnten wir dabei hin und wieder daran denken: Das Glöckchen läutet, das Christkind kommt, Gott tritt ein in unsere Welt. Wenn es uns gelingt, hin und wieder mit der gleichen Spannung die hl. Messe mitzufeiern, mit der Kinder die Bescherung am Heiligen Abend erwarten, dann haben wir es wirklich begriffen, was hier geschieht: ein geradezu kosmisches Gesehehen ist es, ein Ereignis von unendlicher Tragweite, das sich hier auf dem Altar vollzieht: "Als tiefes Schweigen das All umfing, ... da stieg dein allmächtiges Wort, o Herr, vom Himmel herab, vom königlichen Thron", "das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt" - hier und heute, in den Gestalten von Brot und Wein.

Ja, liebe Brüder und Schwestern!

Wenn uns das gelingt, dann fällt es uns sicher auch leichter, die vielen anderen, kleinen und großen, gewaltigen und unscheinbaren "Eintritte" Gottes in unser Leben wahrzunehmen und darüber zu staunen wie Kinder vor dem Christbaum. Dann ist unser Leben spannend. Dann kann für uns tatsächlich jeden Tag Weihnachten sein!

Zu den liturgischen Texten

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