14. Sonntag i. Jkr. - Lj. B

Liebe Brüder und Schwestern!

Ich möchte heute wieder einmal ganz besonders auf den Antwortpsalm eingehen, diese "versteckte" biblische Lesung, die wir oft gar nicht als solche wahrnehmen. Ich glaube nämlich, dass uns dieser - heute sehr kurze - Text einiges sagen kann.

Dieser Psalm besteht aus zwei Teilen: In den ersten beiden Versen erhebt der Beter seine Augen zu Gott. Und in den kommenden zwei Versen klagt er Gott sein Leid und bittet um Hilfe. - Aber der Reihe nach! Weil der Psalm eben so kurz ist, können wir ihn auch Vers für Vers durchgehen.

"Ich erhebe meine Augen zu dir, der du thronst im Himmel."

Unser Psalm steht in der Reihe der "Gradualpsalmen", die als Wallfahrtspsalmen die Wallfahrt nach Jerusalem begleitet haben. Und in der Anordnung dieser Gebete ist der heutige Psalm das erste Gebet des Pilgers nach der Ankunft im Tempel. - Er erhebt seine Augen zu Gott, aber nicht zu irgendeiner Götterstatue wie in einem heidnischen Heiligtum, sondern zu Gott, der im Himmel thront, der aber trotzdem seine Gegenwart auf Erden erfahren lässt, besonders hier im Tempel. Oft ist ja in den Psalmen oder überhaupt im Alten Testament davon die Rede, dass Gott auf den Menschen schaut. In der Wallfahrt dreht der Pilger nun diese Bewegung um und richtet seine Augen zu Gott, wird sozusagen sein Partner, begegnet ihm von Du zu Du. Und worauf er sein Augenmerk bei diesem Aufblick zu Gott richtet, davon spricht er dann im nächsten Vers:

"Siehe, wie die Augen der Knechte auf die Hand ihres Herrn, wie die Augen der Magd auf die Hand ihrer Herrin, so sind unsere Augen erhoben zum Herrn, unserem Gott, bis er uns gnädig ist."

Die alte Denkkategorie von Sklave und Herr, von Magd und Herrin, ist die Hintergrundfolie für diese doppelte Bildaussage. Auch wenn uns diese Vorstellung heute fremd ist, so ist wohl doch klar, was damit ausgesagt wird. Gott wird als Gott anerkannt. Der Pilger und Psalmenbeter erkennt sich als Geschöpf, das nun vor seinem Schöpfer steht. Er macht sich nicht klein, sondern erkennt die Größe Gottes, vor der er gar nicht anders kann als klein, Magd oder Knecht, zu sein.

Etwas anderes fällt aber auch noch auf, wenn man die ersten beiden Verse des Psalms vergleicht. Zu Beginn hat es geheißen: Ich erhebe meine Augen zu dir. Jetzt heißt es weiter: so sind unsere Augen erhoben zum Herrn. - Der Blick des einzelnen auf Gott gliedert ihn ein in die Schar derer, die es ihm gleich tun. Man steht vor Gott nie allein da, sondern in der großen Gemeinschaft des Volkes - wir dürfen sagen: in der großen Gemeinschaft der Kirche. Gebet mag die Initiative des einzelnen sein, doch wenn man es ernsthaft betreibt, dann wird es einen von selbst aus der Vereinzelung herausholen.

Ein letzter Punkt zu diesem Bild vom Sklaven und vom Herren, von der Magd und der Herrin: Denn was kann es eigentlich Besseres für einen Sklaven geben als einen guten Herrn zu finden? Und Gott ist solch ein guter Herr, davon ist der Psalmenbeter überzeugt. Deshalb richtet er seinen Blick eben ganz besonders auf die Hand Gottes, so wie "die Augen der Knechte auf die Hand ihres Herrn, wie die Augen der Magd auf die Hand ihrer Herrin". Dahinter steht die Praxis, dass der Herr dem Sklaven mit der Hand ein Zeichen gegeben hat, was er zu tun hat. Aber auch manche Gnadenerweise des Herrn oder der Herrin konnten diese mit der Hand anzeigen. Und weil der Beter eben weiß, dass Gott ihm nur Gutes will, richtet er seine Augen zu Gott "bis er uns gnädig ist".

Diese Grunderkenntnis schließlich, dass Gott ein Gott ist, der sich des Beters und seines Volkes erbarmen wird, so wie er es immer wieder getan hat, ist nun die Hintergrundfolie für die folgenden Verse.

"Sei uns gnädig, Herr, sei uns gnädig!",

so die gewaltige und vertrauensvolle Bitte, die aus diesem Blick auf Gott erwächst,

"Denn übersatt sind wir von Verachtung, vom Spott der Selbstsicheren ist übersatt unsere Seele, von der Verachtung durch die Stolzen."

Liebe Brüder und Schwestern!

Dass der Beter des Psalms das Grundvertrauen hat, dass Gott der gnädige Gott ist, heißt nicht, dass er ihm nicht auch manches Unheil klagen darf. Im Gegenteil: Eben weil Gott ein gnädiger Gott ist, weil er ein guter Herr für seine Knechte und Mägde ist, kommt der Pilger zu ihm nach Jerusalem, um diese seine Gnade für sich zu erbitten.

So lädt uns der Psalm ein, vertrauensvoll zu Gott aufzublicken. Er ermutigt uns, ihm unser Leid zu klagen. Er fordert uns letztlich auf, uns unsere eigene Schwäche einzugestehen und uns ganz Gottes Erbarmen anzuvertrauen - etwas, das auch der hl. Paulus erfahren durfte und wovon er in der zweiten Lesung berichtet: "Viel lieber will ich mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt." 

Wenn es in unserem Leben Situationen gibt, die uns überfordern, mit denen wir nicht zurechtkommen, die uns verzweifeln lassen - und ich denke da gar nicht nur an das omnipräsente Thema Coronapandemie; es gibt sicher auch ganz andere Sorgen, Ängste und Nöte - wenn wir nicht mehr weiterwissen, dann dürfen wir zu Gott aufblicken und von ihm Hilfe erflehen, so wie wir es auch zu Beginn der hl. Messe gesungen haben: "Wohin soll ich mich wenden? - Zu dir, o Vater, komm ich in Freud und Leiden." - Vielleicht können wir es auch hin und wieder mit den Worten des heutigen Antwortpalms tun, mit Worten, die durch viele Jahrhunderte hindurch schon unzählige Menschen zu ihm gesprochen haben:

"Ich erhebe meine Augen zu dir, der du thronst im Himmel. Siehe, wie die Augen der Knechte auf die Hand ihres Herrn, wie die Augen der Magd auf die Hand ihrer Herrin, so sind unsere Augen erhoben zum Herrn, unserem Gott, bis er uns gnädig ist. Sei uns gnädig, Herr, sei uns gnädig!"

Amen.

Zu den liturgischen Texten

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