2. Adventsonntag - Lesejahr C

"Lange schon uns bedacht ..."

Vor 200 Jahren am Heiligen Abend wurde das Lied "Stille Nacht" zum ersten Mal gesungen. In der Vorbereitung auf dieses Jubiläum versuche ich, mich an den Adventsonntagen jeweils auf den Text einer Strophe (ab dem 2. Adventsonntag einer der unbekannteren Strophen) zu beziehen.


"Stille Nacht, heilige Nacht! Lange schon uns bedacht, als der Herr, vom Grimme befreit, in der Väter urgrauen Zeit aller Welt Schonung verhieß."

Liebe Brüder und Schwestern!
Diese Liedstrophe von "Stille Nacht" ist wahrscheinlich die am schwersten verständliche. Was ist gemeint mit jener urgrauen Zeit der Väter, in der Gott der Welt Schonung verheißen hat? Und was hat das mit der Weihnachtsnacht zu tun?
Der Text unserer Strophe spielt an auf den Bund, den Gott mit Noach nach der großen Flut geschlossen hat, als er versprochen hat: "Ich werde niemals wieder alles Lebendige schlagen, wie ich es getan habe." (Gen 8,21)
Die Sintflut, auf die im Lied verwiesen wird, kennzeichnet einen Neuanfang. So heißt ja auch im Weihegebet über das Taufwasser in der Osternacht: "Selbst die Sinflut war ein Zeichen der Taufe, denn das Wasser brachte der Sünde den Untergang und heiligem Leben einen neuen Anfang."
Und genau hierin besteht meiner Meinung nach der Zusammenhang zum Weihnachtsgeschehen: Auch das Kommen Jesu markiert einen Neuanfang: Gott wird Mensch, tritt in die Geschichte ein, um sie von innen heraus zu verwandeln.

"Lange schon uns bedacht", beginnt unsere Strophe. Ja, das große Projekt Gottes, in Jesus Christus einen Neuanfang zu setzen, hat eine lange Vorgeschichte. Gott hat die Welt langsam und behutsam auf sein Kommen vorbereitet.
Auch in der Lesung aus dem Buch Baruch ist die Rede von einem Neuanfang. Da wird den Juden in der Diaspora, in der Zerstreuung, Mut zugesprochen: Es wird einen Neuanfang geben. Jerusalem wird wieder das Zentrum des Volkes Gottes sein. "Jerusalem, leg das Kleid deiner Trauer und deines Elends ab und bekleide dich mit dem Schmuck der Herrlichkeit, die Gott dir für immer verleiht. ... Gott bringt deine Kinder heim zu dir."
Freilich, so müssen wir auch sagen: dieser Neuanfang war nicht von Dauer. Was der Prophet verheißt, hat sich nicht in der Weise erfüllt, in der man es vermutet hätte.

Die vielen Neuanfänge, die Gott im Laufe der Geschichte gesetzt hat, von Noach über Abraham, Mose, den Einzug ins Gelobte Land, die Rückkehr nach dem babylonischen Exil, ... - all diese Neuanfänge dürfen wir als pädagogische Maßnahmen Gottes sehen, die das Volk vorbereiten sollten auf den entscheidenden Neuanfang in der Geschichte. "Lange schon uns bedacht ..." - In Jesus Christus hat es sich erfüllt.

Einen Neuanfang will das Kommen Jesu auch in unserem persönlichen Leben setzen. Heute und am kommenden Sonntag steht Johannes der Täufer vor uns als der große Adventprophet. Er verkündet diesen Neuanfang, eine Umkehr, um dem Kommen des Herrn den Weg zu bereiten. In mächtigen Worten kündet er an: "Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden."
Gott hat die Welt lange auf sein Kommen vorbereitet. Es liegt an uns, uns auch persönlich vorzubereiten, dass er bei uns eintreten kann. In der Zeit vor Weihnachten treffen wir ja viele Vorbereitungen. Wir sollen uns auch innerlich vorbereiten, innerlich einen Neuanfang setzen. Eine große Hilfe dazu kann auch das Sakrament der Buße, eine ehrliche Weihnachtsbeichte, sein.

"Lange schon uns bedacht ..." - Einen letzten Aspekt des Handelns Gottes in der Geschichte möchte ich noch herausstellen. Es ist eben nicht nur ein Handeln mit Geschichte, sondern ein Handeln in der Geschichte. Gott begegnet uns nicht abseits unseres Lebens, sondern mitten darin.
Wenn der Evangelist Lukas die aktuellen Herrschaftsverhältnisse vor dem Auftreten Johannes des Täufers erwähnt, will er damit auch sagen: Was hier erzählt wird, ist konkretes Handeln Gottes in der konkreten Geschichte.
Und wenn Gott mir in meiner konkreten Geschichte, meiner persönlichen Lebenssituation entgegenkommen will, dann muss ich auch meine konkrete Geschichte, meine konkrete Lebenssituation so einrichten, dass ich ihn nicht übersehe.
Der Neuanfang, von dem die Rede war, ist keine reine Idee, kein abstraktes Hirngespinst. Wenn er wirklich echt und wirksam sein soll, muss er mit meinem Leben zu tun haben, muss er sich in meinem alltäglichen Leben auswirken, muss er meine Gedanken, Worte und Werke prägen und so den Boden bereiten für das Zusammentreffen mit Gott, der mir entgegengeht und der dieses persönliche Treffen von sich aus, wie es im Lied heißt "lange schon" vorbereitet hat.
Amen.


Zu den liturgischen Texten
Zum Lied "Stille Nacht"

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