12. Sonntag nach Pfingsten (forma extraordinaria)

Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!
"Du sollst den Herrn deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele, aus allen deinen Kräften und aus deinem ganzen Gemüte, und deinen Nächsten wie dich selbst."
Ein einfaches Grundrezept, könnte man meinen. Ein einziger Satz, der einzuhalten ist, um das Leben zu gewinnen. Doch dass es nicht so leicht ist, zeigt bereits die Gegenfrage des Gesetzeslehrers: "Wer ist denn mein Nächster?"

Gottesliebe und Nächstenliebe als die Eckpfeiler eines christlichen Lebens.
Interessant ist, dass der Gesetzeslehrer nur bei der Nächstenliebe nachfragt, was denn nun damit gemeint sei. Die Gottesliebe scheint ihm weniger Probleme zu machen. Da weiß er offensichtlich, wie er dieses abstrakte Gebot in die Praxis umsetzen soll bzw. meint er es zu wissen. Mit der Nächstenliebe aber hat er seine Probleme, schon einmal ganz grundsätzlich: Wer ist denn dieser Nächste, dem ich in Liebe begegnen soll? Wer ist gemeint? Meine Verwandten und Freunde, jene, die mir am nächsten stehen? Die Angehörigen meines Stammes, meines Volkes? Wer ist mein Nächster? Und wie weit muss meine Liebe da gehen? - Wenn wir die Geschichte vom barmherzigen Samariter anschauen, die Jesus dann erzählt, dann werden wir wohl sagen müssen: Jesus vertritt hier keinen Minimalismus, nicht nur das Nötigste ist für den Nächsten zu tun, sondern - ebenso wie bei der Gottesliebe - ein Einsatz mit all unseren Kräften.

Liebe Brüder und Schwestern!
Der Gesetzeslehrer, der Jesus damals auf die Probe stellte, war offensichtlich zumindest theoretisch ein Experte in der Gottesliebe, sonst hätte er auch hier nachgefragt, aber brauchte Nachhilfe in Sachen Nächstenliebe.
Ich meine, dass sich das in der heutigen Zeit umgekehrt hat. Was die Nächstenliebe betrifft, das gute Handeln an unseren Mitmenschen, da gibt es viele Experten, da wissen wir, was zu tun ist - zumindest theoretisch. Freilich gilt es, das auch in die Praxis umzusetzen und nicht doch in einen Minimalismus zu fallen.
Aber mit der Gottesliebe, wie sieht es da heute aus? Wissen wir, wie wir die Liebe zu Gott in der Praxis leben sollen, geschweige denn, ob wir es tatsächlich dann auch tun?
Würden heutige "Gesetzeslehrer" an Jesus, der sie mit dem Doppelgebot der Liebe konfrontiert, nicht vielleicht eher in Sachen Gottesliebe ihre Fragen haben?

Liebe Brüder und Schwestern!
Wie sieht gelebte Gottesliebe aus? Eines vorweg: Wie es bei der gelebten Nächstenliebe keinen Minimalismus geben darf, so wohl auch nicht bei der Gottesliebe! 
Ein Minimalprogramm, etwa ein sonntäglicher Messbesuch, eine jährliche Beichte und Kommunion wird wohl kein Ausdruck echter Liebe sein, auch wenn die Kirche dieses Minimalprogramm allen Gläubigen als Gebot vorschreibt, um den Docht der Gottesliebe wenigstens am Glimmen zu erhalten.
Im Graduale, dem Psalmvers zwischen Lesung und Evangelium, hat es geheißen: 
"Benedicam Dominum in OMNI tempore: SEMPER laus eius in ore meo." - Ich will den Herrn ALLEZEIT preisen, IMMER sei sein Lob in meinem Mund. 
Und auch der Allelujavers betet: 
"In die clamavi et nocte coram te." - Tag und Nacht schreie ich zu dir. 
Nicht ein Minimalprogramm legt uns der Psalter hier in den Mund, sondern sozusagen ein Maximalprogramm: Unser GANZES Leben soll Gottesdienst sein: "Alles meinem Gott zu Ehren!", wie wir es in einem unserer Kirchenlieder singen.
Anders gesagt: Der Anspruch ist, dass all unser Tun und Handeln von solcher Qualität sein soll, dass es Gottesdienst ist. Dabei kann es uns helfen, bestimmte bewusste Zeiten und Akte zu setzen, die ihm allein reserviert sind: das Gebet am Morgen, am Abend und vor den Mahlzeiten, die innere Zwiesprache mit ihm, das Lesen in der heiligen Schrift, das einfache Dasein vor ihm etwa in der eucharistischen Anbetung, die Feier der Liturgie, insbesondere der heiligen Messe - alles das soll uns helfen in dem Prozess, unser ganzes Leben auf ihn hin auszurichten, unser ganzes Leben Ausdruck der Liebe zu ihm sein zu lassen, eben wirklich "Alles meinem Gott zu Ehren" zu tun.

Freilich übersteigt das im Letzten unsere Kräfte. Vor der unendlichen Liebe, die Gott zu uns hat, die ihn in Jesus Christus sogar Mensch werden und in den Tod gehen lässt; vor dieser Liebe muss all unser Bemühen letztlich ungenügend erscheinen. Das ruft uns auch der hl. Paulus in der Lesung in Erinnerung, wenn er sagt:
"Nicht als ob wir fähig wären, aus uns selber wie aus eigener Kraft etwas zu denken; nein, unsre Fähigkeit (zum Gottesdienst des Neuen Bundes) kommt von Gott."
So redet das Kirchengebet des heutigen Sonntags Gott auch als den an,"de cuius munere venit, ut tibi a fidelibus tuis digne et laudabiliter serviatur" - als den, von dem die Gabe kommt, dass ihm von seinen Dienern würdig und untadelig gedient wird.

Liebe Brüder und Schwestern!
Zurück zum Evangelium und zum Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe. Wenn also all unser Bemühen schon für die echte und vollkommene Gottesliebe nicht ausreicht, sondern sie letztlich Gott selbst in uns wirken muss, wie sollen wir dann noch Ressourcen für die Nächstenliebe haben? Wenn echte Gottesliebe schon ein Maximalprogramm verlangt, haben wir dann für unsere Nächstenliebe überhaupt noch ein Minimalprogramm zur Verfügung?
Solche Fragestellung übersieht, dass das Doppelgebot für Jesus in Wahrheit ein einziges ist. Für ihn lassen sich Gottes- und Nächstenliebe nicht trennen. Im ersten Johannesbrief lesen wir daher:
"Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott!, aber seinen Bruder hasst, ist er ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht. Und dieses Gebot haben wir von ihm: Wer Gott liebt, soll auch seinen Bruder lieben."
So sind wir also gerufen, unser ganzes Leben Ausdruck unser Liebe zu Gott und dem Nächsten sein zu lassen, uns nicht mit einem Minimalprogramm zufrieden zu geben, sondern wirklich ALLES zu tun, was uns möglich ist, um diese Liebe konkret werden zu lassen - verbunden mit der Zuversicht, dass Gott selbst uns dazu die Kraft geben und ergänzen wird, was wir selbst nicht zustande bringen.
Amen.




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