5. Fastensonntag - Lj. B

Liebe Brüder und Schwestern!

Jesus verwendet heute im Evangelium das Bild vom Weizenkorn, das in die Erde fällt und scheinbar stirbt, um reiche Frucht zu bringen - ein Bild, das uns gewiss gerade im Zugehen auf die Karwoche viel sagen kann.

Doch ich möchte den Schwerpunkt heute auf ein anderes Wort des Evangeliums legen: "Herr, wir möchten Jesus sehen" - so treten einige Griechen an Philippus heran, der vermutlich ihre Sprache spricht.

Wir möchten Jesus sehen! - Ein frommer Wunsch! Doch was versteckt sich wohl hinter dieser Bitte? Sie möchten Jesus sehen; was erwarten sie sich davon? Warum möchten sie ihn sehen? Oder welches Bild haben sie von ihm, das sie nun auch mit eigenen Augen sehen möchten; wovon möchten sie sich vergewissern?

Wir möchten Jesus sehen! - Vielleicht verbirgt sich hinter dieser Bitte gar kein allzu frommer Wunsch, sondern eine Art Schaulustigkeit. Wir möchten diesen Wundertäter sehen, von dem wir gehört haben. Um es auf die Spitze zu treiben: Wir möchten auch ein kleines Zauberkunststück von ihm sehen!

Wir möchten Jesus sehen! - Am Karfreitag werden wir - geradzu als Konterkarierung dieses Wunsches - das Prophetenwort aus dem Buch Jesaja hören: "Er hatte keine schöne und edle Gestalt, sodass wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen fanden an ihm."

Wir möchten Jesus sehen! - So der Wunsch im heutigen Evangelium. Seht, der Mensch! - So wird ihnen Pilatus Jesus am Karfreitag mit der Dornenkrone gekrönt zeigen.

Wir möchten Jesus sehen! - Ja, sie werden Jesus sehen. Aber er wird sich ihnen so ganz anders zeigen als sie es erwartet hätten. Darauf spielt Jesus eben auch mit dem Bildwort vom Weizenkorn an. Er ist der, dessen Schönheit, ja göttliche Herrlichkeit, unsichtbar sein wird wie das Weizenkorn, das in die Erde fällt.

Liebe Brüder und Schwestern!

Wir möchten Jesus sehen! - Diese Bitte begegnet uns heute, wo nach alter Tradition die Kreuze in unseren Kirchen verhüllt werden. Das geschieht nicht darum, dass uns der Blick auf Jesus genommen wird. Nein, der Schmuck der Kreuze ist es, der verhüllt wird. Alles Gold oder andere Verzierung, das unseren Blick vom unsagbaren Leiden Jesu abbringen könnte, wird verhüllt. Wir möchten Jesus sehen - und zwar als den Leidenden; als das Weizenkorn, das in die Erde fällt und stirbt.

Aber, liebe Brüder und Schwestern, der Schmuck wird nicht verhüllt bleiben. Zu Ostern dürfen wir feiern, dass das Weizenkorn, das in die Erde gesenkt wurde, reiche Frucht bringt.

Wir möchten Jesus sehen! - Ein letzter Gedanke dazu. Denn wenn es stimmt, dass wir Jesus gerade im Unscheinbaren, ja sogar im Leidenden erkennen können, dann wird diese Bitte auch dadurch gewährt, dass wir all das Unscheinbare in unserem eigenen Leben schätzen lernen; ja mehr noch, dass wir auch hinter aller Not und allem Leid, das wir zu erdulden haben oder dem wir begegnen, Jesus selbst erkennen dürfen. 

Wir möchten Jesus sehen! - In dem Kinderlied "Von Mensch zu Mensch eine Brücke bau'n" heißt es: "In jedem Menschen Jesus seh'n - und nicht an ihm vorübergeh'n!". Das ist immer aktuell, aber es tut gut, sich in der Vorbereitung auf das Osterfest auch nochmal ganz explizit daran erinnern zu lassen.

Zu den liturgischen Texten

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