2. So. n. Weihnachten (forma ordinaria); So. d. Weihnachtsoktav (forma extraordinaria)

Liebe Brüder und Schwestern!

"Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da stieg dein allmächtiges Wort, o Herr, vom Himmel herab, vom königlichen Thron." (Weish 18,14-15) - Diese Verse aus dem Buch der Weisheit stehen am heutigen 2. Sonntag der Weihnachtszeit (Sonntag in der Weihnachtsoktav) als Eröffnungsvers im Messbuch, gleichsam als Ouvertüre oder Überschrift zur heutigen Messe.
Ich möchte heute diesen Eröffnungsvers ein wenig betrachten, um von daher einen Blick auf das Weihnachtsgeschehen zu werfen.


Die Verse für sich genommen, so wie sie in der Liturgie dastehen, sprechen vom Schweigen und von der Nacht, in der das Wort Gottes vom Himmel herabsteigt. Wir sind sicher versucht, diesen Vorgang als Beschreibung des Herabsteigens Gottes in unser Fleisch, als poetische Umschreibung des Weihnachtsgeschehens anzusehen. Gewiss ist das auch der Grund, warum diese Verse für die Weihnachtsliturgie ausgewählt wurden. Und es ist sicher auch nicht falsch, bei diesen Versen an die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus zu denken.
Doch betrachten wir zunächst einmal den biblischen Kontext dieser Verse im Alten Testament.

Diese Verse finden sich im dritten Teil des Buches der Weisheit innerhalb eines Zyklus von Vergleichen. Das Handeln Gottes an Israel wird verglichen mit dem Handeln Gottes an Israels Feinden - exemplarisch dargestellt am Handeln Gottes an Ägypten: Von den bekannten "ägyptischen Plagen", von denen im Buch Exodus berichtet wird, werden einige herausgegriffen, ergänzt durch den Tod der ägyptischen Streitmacht im Roten Meer, und in Bezug gesetzt zu Gnadentaten Gottes an seinem Volk:

  • Das Wasser des Nil verwandelt Gott in Blut, sodass es ungenießbar wird. - Dem Volk Israel spendet er Wasser aus dem Felsen inmitten der Wüste.
  • Die Ägypter werden von Tieren heimgesucht - Frösche, Heuschrecken und Stechfliegen, die ihnen die Nahrung wegfressen und Krankheiten übertragen. - Das Volk Israel wird auf seiner Wanderung in der Wüste durch Tiere ernährt: Gott schickt ihnen die Wachteln vom Himmel. Und als sich Giftschlangen unter das Volk mischen, brauchen die Israeliten nur zur ehernen Schlange aufzusehen, um von ihren Bissen geheilt zu werden.
  • Der Hagel, den Gott über Ägypten sendet, ist eine weitere Plage. - Das Volk Israel wird durch den Tau vom Himmel ernährt - das "Manna" liegt wie Tau auf dem Wüstenboden.
  • Über Ägypten breitet sich eine Finsternis. - Dem Volk leuchtet auf seinem Weg in der Nacht die Feuersäule.
  • Gott erschlägt die Erstgeburt der Ägypter. - Die todbringende Seuche während der Wüstenwanderung des Volkes Israel hält er auf.
  • Und schließlich sterben die ägyptischen Streitmächte in den Fluten des Meeres - während Israel trockenen Fußes durch das Meer schreiten kann.
"Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da stieg dein allmächtiges Wort, o Herr, vom Himmel herab, vom königlichen Thron", diese Feststellung findet sich in der Schilderung der letzten, der größten Plage, die Gott über Ägypten kommen ließ: der Tod der ägyptischen Erstgeburt.
Dazu also - um jeden erstgeborenen Sohn der Feinde sterben zu lassen - steigt das Wort Gottes mitten in der Nacht, im Schweigen, also sich anschleichend und unerwartet zuschlagend, vom Himmel herab. "Es trug das scharfe Schwert deines unerbitterlichen Befehls, trat hin und erfüllte alles mit Tod" (Weish 8,16), so geht der biblische Text weiter.

Liebe Brüder und Schwestern!
Kann hier wirklich vom selben Wort Gottes die Rede sein, von dem es im Johannesprolog heißt: "In ihm war das Leben"? Ist der Herabstieg dieses Wortes wirklich als eine Vorahnung dessen zu sehen, was Johannes mit den Worten ausdrückt: "Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt"? Singen die Engel an Weihnachten nicht vom Frieden auf Erden? Sind diese Verse aus dem Buch der Weisheit also wirklich geeignet für die Weihnachtsliturgie oder hat sich die Kirche hier einfach vom Klang der Worte - losgelöst von ihrem Kontext - irreführen lassen?

Ich denke schon, dass uns dieser Vers auch in seinem Kontext etwas sagen kann. Nämlich, dass Weihnachten mehr ist als heimelige Atmosphäre bei Kerzenschein.
Das Kind in der Krippe ist tatsächlich dieses wirkmächtige Wort Gottes, das so machtvoll am Volk Israel gehandelt hat und - als dunkle Hintergrundfolie der Erzählung - Ägypten den Tod brachte.
Jesus selber wird über sich sagen: "Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert." (Mt 10,34) An ihm werden sich die Geister scheiden.
Unser Bekenntnis zu ihm oder gegen ihn bleibt nicht ohne Auswirkung. Vor wenigen Tagen haben wir das Fest des hl. Stephanus gefeiert, des ersten Märtyrers, der dafür sein Leben gelassen hat.
Weihnachten kündet nicht nur von Friede und Freud, sondern hat ernste Konsequenzen für unser Leben. Gott ist nicht weit weg, "is watching us from a distance", wie es in einem Lied heißt, sondern er ist uns ganz nah, schaut nicht nur zu, sondern greift auch ein in unser Weltgeschehen.

Liebe Brüder und Schwestern!
Einen Unterschied gibt es aber schon zwischen dem Herabsteigen des Wortes Gottes zum Erschlagen der ägyptischen Erstgeburt und dem Herabsteigen des Wortes Gottes an Weihnachten.
Natürlich ereignet sich auch Weihnachten inmitten der Nacht, ganz heimlich und leise, sozusagen unbemerkt und im Schweigen. Doch "das Wort ist FLEISCH geworden". Es ist nicht einfach eine unbekannte Macht, ein unpersönliches Schicksal, das uns entgegentritt, sondern eine Person, ein Mensch aus Fleisch und Blut.

Die Begegnung mit Gottes mächtigem Wort findet also statt in der Begegnung mit einem Menschen, von Du zu Du.
Der Vergleich im Buch der Weisheit verbunden mit der Menschwerdung des Wortes zeigt: Wenn wir uns auf dieses Du einlassen, wenn wir so als Menschen leben, wie er es uns selber als Mensch vorgelebt hat, dann ist die Begegnung mit ihm nicht todbringend wie für die Ägypter, sondern ganz im Gegenteil lebenspendend wie für die Israeliten, die er durch die Wüste und ihre Gefahren hindurch in das Gelobte Land führt.
Lassen wir uns von Gottes Wort treffen; lassen wir zu, dass Weihnachten Auswirkungen auf unser Leben hat!

Amen.

Zu den liturgischen Texten

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