21. Sonntag i. Jkr. - Lj. A

Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!

Kurze Rückblende in das Jahr 451 nach Christus. In Chalzedon, heute ein Stadtteil von Istanbul, tagt eine Versammlung von Bischöfen, die Kaiser Markian einberufen hat, um die große theologische Streitfrage seiner Zeit (und eigentlich aller Zeiten) zu klären: Wer ist Jesus Christus? Es ist die Frage, die Jesus im heutigen Evangelium selbst an seine Jünger richtet: Für wen halten mich die Leute? Ihr aber, für wen haltet ihr mich?
Vom Evangelium aber wieder zurück ins Jahr 451. Es wird viel diskutiert und erörtert. Jesus Christus, Gottes Sohn - wie verhalten sich Gottheit und Menschheit in seiner Person zueinander? Wie ist es zu verstehen, dass er als Mensch auf Erden gelebt hat, gekreuzigt, gestorben und begraben wurde, aber trotzdem, wie es das Konzil von Nizäa bereits über 100 Jahre vorher bekannt hat, "eines Wesens mit dem Vater" ist? Verschiedene Positionen, theologische Lehrmeinungen stehen sich gegenüber. Es ist kein Streit von Gelehrten, sondern es geht ums Eingemachte: Wie kann es sein, dass uns in Jesus wirklich Gott entgegentritt?
Der Bischof von Rom, Papst Leo der Große, ist nicht persönlich auf dem Konzil von Chalzedon anwesend, sondern vertreten durch vier Legaten. In einer Konzilssitzung wird ein Brief von Leo an Bischof Flavian von Konstantinopel verlesen, den er bereits vor zwei Jahren verfasst hatte: "[Die] zeitliche Geburt nahm jener göttlichen und ewigen Geburt nichts weg und fügte ihr nichts hinzu ... wir könnten den Urheber der Sünde und des Todes nicht überwinden, wenn [Gott nicht] unsere Natur annähme und zu seiner machte ... Die Eigentümlichkeit beider Naturen [der göttlichen und der menschlichen] blieb also unversehrt und vereinigte sich in einer Person ... Der wahre Gott wurde also in der unversehrten und vollkommenen Natur eines wahren Menschen geboren ... Er, der wahrer Gott ist, ist nämlich ebenso wahrer Mensch" (DH 291-294). Solche und ähnliche Worte bekommen die Konzilsväter von Chalzedon zu hören, die zum Ausdruck bringen wollen: Jesus ist wahrer Gott und wahrer Mensch, in ihm - einem echten Menschen - ist der ewige Gott selbst auf Erden erschienen. Und die versammelten Bischöfe rufen einstimmig aus: "Petrus hat durch Leo gesprochen."
Wir sind also wieder beim heutigen Evangelium angekommen. Jesus fragt seine Jünger: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Und Petrus gibt im Namen der Jünger die Antwort: Du bist der Christus (auf hebräisch: der Messias), der Sohn des lebendigen Gottes.

Für wen halten mich die Menschen?
Es mag verschiedene Antworten auf diese Frage geben. Und was die Menschen damals dachten: Er ist Johannes der Täufer, er ist Elija, er ist Jeremia, er ist einer der Propheten; das ist ja keine schlechte Antwort. Jesus ist ganz gewiss einer der Propheten, einer jener Menschen, die von Gott gesandt sind, um zu seinem Volk zu sprechen. Aber Jesus ist eben nochmals mehr.
Genauso gibt es auch heute wohl die verschiedensten Antworten, die wir auf diese Frage geben könnten: Für wen halten mich die Menschen?
Er war ein guter Mensch, er ist einer der einflussreichsten Persönlichkeiten der Geschichte, er ist ein missverstandener jüdischer Wanderprediger, er ist ein politisches Opfer, bei dessen Kreuzigung die Römer ein Exempel statuieren wollten, er ist ein spiritueller Meister - in einer Reihe mit Buddha und anderen Großen, er lebte aus einer ganz besonderen Gottesbeziehung heraus und hat diese für andere erfahrbar gemacht.
Und all das sind sicher per se keine schlechten oder falschen Antworten. Aber auch hier gilt: Jesus ist mehr.

"Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!" - Wir wissen nicht, was genau Petrus oder die Jünger mit dieser Aussage verstanden haben. Wir wissen, dass es noch hunderte Jahre gedauert hat, um auszuloten, was damit alles gemeint ist.
Aber wir wissen, dass es genau dieses Bekenntnis ist, auf dem die Kirche gegründet ist, dass dieses Bekenntnis zu Jesus Christus der starke Fels ist, der den Stürmen der Zeit trotzen kann. "Selig bist du", bekommt Petrus zu hören, als er dieses Bekenntnis ausspricht.
"[Den Glauben] hast Du selbst ... bewahrt, indem Du allen der Dolmetscher der Stimme des heiligen Petrus warst und für alle die Seligpreisung seines Glaubens herbeiführtest" (DH 306), so schreiben die Konzilsväter von Chalzedon in einem Brief an Papst Leo zum Abschluss des Konzils.

Liebe Brüder und Schwestern!
Damit bin ich wieder bei meiner Rückblende in das Jahr 451.
Aber ich möchte noch eine zweite Rückblende machen, und zwar auf einen Tag, an den sich die meisten von uns wahrscheinlich erinnern können. Es ist Freitag, der 27. März 2020, 18:00 Uhr. Die ganze Welt scheint beinahe stillzustehen. Ganze Staaten sind "heruntergerfahren", wie es heißt, befinden sich im "Lockdown". Auch die quirlige Stadt Rom erscheint wie ausgestorben. Der sonst so volle Petersplatz menschenleer. Der Tag neigt sich dem Ende zu, es dämmert und der Regen wird immer stärker. Eine einsame weißgekleidete Gestalt schreitet über den Platz, der mit seinen Kolonnaden, wie Papst Franziskus gleich sagen wird, die ganze Welt umarmen möchte. Papst Franziskus kommt vor dem Petersdom an und beginnt sogleich mit einem einfachen Gebet: "guarda la nostra dolorosa condizione" - "sieh auf unsere schmerzliche Situation", "perché sentiamo in mezzo a noi la tua presenza di Padre" - "damit wir mitten unter uns deine Gegenwart des Vaters spüren".
Mit diesem kurzen Gebet nimmt er vorweg, was er gleich in einer bewegenden Ansprache ausführen wird: Jesus ist da, auch wenn er zu schlafen scheint. Jesus ist da und mit ihm die mächtige Gegenwart Gottes. - Ein starker Hoffnungsschimmer auch für eine Welt, die sich im Ausnahmezustand befindet.
Mir persönlich ist bei dieser Szenerie das Wort der Konzilsväter von Chalzedon in den Sinn gekommen: "Petrus hat durch Franziskus gesprochen", durch seine Worte und Gesten; und er hat so seiner alten Antwort neu Leben eingehaucht: "Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes."

Liebe Brüder und Schwestern!
"Ihr aber, für wen haltet ihr mich?" - Diese Frage stellt Jesus auch an uns persönlich. Petrus, Papst Leo, Papst Franziskus und viele andere geben im Namen von uns allen die Antwort: "Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes."
Ist das auch meine Antwort? Jesus fordert mich jedenfalls dazu auf! Und er gibt mir die Zusage: Dieser Glaube ist ein fester Fels, den die Stürme der Zeit, die "Pforten der Unterwelt", ja auch eine Corona-Krise oder sonst etwas nicht zu überwältigen vermögen. 
Er sagt zu mir: "Selig bist du", wenn du in dieses Glaubensbekenntnis des Petrus einstimmen kannst.

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