22. Sonntag i. Jkr. - Lj. A

Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!

In der ersten Lesung haben wir heute von Jeremia gehört. Ein Prophet, der sich - modern gesprochen - in einer Depression oder im "Burnout" befindet. "Zum Gespött bin ich geworden den ganzen Tag ... ein jeder verhöhnt mich ... ich mühte mich, es auszuhalten, vermochte es aber nicht." - Solche Phasen kennt bestimmt jeder von uns. Man kann einfach nicht mehr! Es wird einem alles zu viel!
Vielleicht kann es uns ja auch im Glauben und im christlichen Leben manchmal so gehen. "Denn das Wort des Herrn bringt mir den ganzen Tag nur Hohn und Spott." - Vielleicht können wir auch diesen verzweifelten Ausspruch des Propheten nachempfinden. So fällt es uns wahrscheinlich leicht, uns in irgendeiner Weise mit dem depressiven Jeremia zu identifizieren.

Auch die christliche Kunst hat das immer wieder getan. Michelangelo beispielsweise hat unter anderem seinem Jeremia auf den Fresken der Sixtinischen Kapelle seine eigenen Gesichtszüge gegeben. Möglicherweise hat auch er während seiner Arbeit beim Ausmalen der päpstlichen Privatkapelle Phasen durchlebt, in denen er sich gesagt hat: Ich kann nicht mehr! Es ist zuviel!

Das Gemälde Jeremias in der Sixtinischen Kapelle ist aber auch darüber hinaus eine Betrachtung wert, weil Michelangelo hier nicht nur seine eigene Depression verarbeitet hat, sondern auch einige versteckte Hinweise parat hält, die uns helfen können, mit solchen Situationen umzugehen. Wollen wir also heute dieses Bild etwas näher betrachten!

Jeremia ist natürlich nicht der einzige Prophet, den Michelangelo freskiert hat, sondern ist Teil eines ganzen Zyklus von biblischen Propheten und heidnischen Sybillen. Jede dieser Gestalten wird begleitet von zwei kleiner dargestellten Personen im Hintergrund. So finden wir auch bei unserem Jeremia zwei kleinere Frauen. Die Bedeutung dieser zusätzlichen Personen könnte sich in der zeitgenössischen Trias der Seelenvermögen von Gedächtnis, Verstand und Wille finden. Diese drei Vermögen machen die eine menschliche Seele aus (für Augustinus ist diese Trias auch zum Analogon für die Dreifaltigkeit Gottes geworden), sodass es sich bei Jeremia und den beiden kleineren Frauen nicht um drei Personen handelt, sondern um verschiedene Aspekte in der Persönlichkeit des Propheten.

Aber nochmals zurück zu unserem "großen", dominierenden Jeremia. Dieser befindet sich eindeutig in einer depressiven, melancholischen Gemütsbewegung. Sein Kopf ist nachdenklich und erschöpft auf seine rechte Hand gestützt, das weiße Haar ungepflegt zersaust, wie dies im Alten Testament und auch bei anderen Völkern Ausdruck der Trauer ist. Sein königlich anmutendes goldenes Gewand, das vielleicht auf seine Würde als Prophet anspielt, ist über die Füße zurückgeschlagen, sodass es fast nicht mehr sichtbar ist und dem violetten Innenfutter weichen muss - violett als Farbe der Buße. Über seiner linken Schulter ist der hellviolette Streifen eines Mantels erkennbar, der auch zu seiner Rechten auf den Steinthron herabfällt, auf dem er sitzt - ebenfalls ein Büßermantel.
Dazu kommt noch eine Schriftrolle, die zu seiner Rechten auf dem Steinthron neben dem Büßermantel liegt. Auf ihr ist das Wort "Alef" zu lesen. Alef als erster Buchstabe des hebräischen Alphabets ist auch der erste Buchstabe, gleichsam die Überschrift über die Klagelieder, die die Tradition ebenfalls dem Propheten Jeremia zuschreibt.
Ja, die dominierende Gestalt ist eindeutig der depressive, melancholische Jeremia, den wir auch aus der heutigen Lesung kennen.

Kommen wir nun zu den beiden Frauengestalten. Da ist zunächst die eine, von uns aus gesehen links, die den Kopf ganz so wie Jeremia voller Schmerz zur gleichen Seite neigt und voller Trauer ihr bloßes blondes Haar herabfallen lässt. Sie trägt ein weiß-blaues Gewand, das sie im Vergleich mit anderen Wandbildern als Personifikation des Volkes Israel und Vorausbild der Kirche ausweist.
Ja, geht es uns als Kirche nicht auch manchmal so wie dem traurigen, depressiven, jammernden Jeremia oder wie dem Petrus des Evangeliums, der das Kreuz, das, was ihm nicht passt, nicht wahrhaben will?
Diese Frauenfigur jedenfalls tritt die Schriftrolle mit den Klageliedern und den Bußmantel des Jeremia sogar noch mit ihrem Fuß. Solche Abneigung, man könnte fast sagen solchen Selbsthass empfindet sie!

Doch nun zur anderen Frau. (Und behalten wir im Hinterkopf, dass beide kleine Personen zur Persönlichkeit des Propheten selbst gehören!) Sie steht im Schatten des Propheten, ist daher dunkler dargestellt als die blonde Frau ihr gegenüber. Aber trotz des dominierenden depressiven Jeremia, in dessen Schatten sie steht, ist sie noch erkennbar. Sie hat kein zersaustes oder frei herabhängendes Haar. Ihr Kopf ist nicht geneigt. Und sie trägt ein rot-grünes Gewand - Rot und Grün als Farben, die für die göttlichen Tugenden der Liebe und der Hoffnung stehen. Sie scheint der trauernden Frau in weiß-blau zu Hilfe zu kommen mit der Absicht, sie aus ihrer Depression, ihrer Negativität, ihrem Selbsthass zu befreien. Und wenn man die Farben des Freskos genau betrachtet, nimmt das zarte Blau der trauernden Frau bereits das hoffnungsvolle Grün der anderen Frau an, die ihr zu Hilfe eilt. - Ein Hoffnungsschimmer über dem Propheten, der sich überfordert sieht, über uns, die wir nur allzu oft mit ihm mitfühlen können, über die Kirche, die ebenfalls nur allzu oft am destruktiven Jammern ist!

Liebe Brüder und Schwestern!
Der Mantel der hoffnungsvollen Frau, der auf die traurige Frau abfärbt, ist möglicherweise noch von einer anderen zeitgenössischen Bibelauslegung inspiriert. Einige Kapitel später im Jeremia-Buch ruft der Prophet der Jungfrau Israel zu: "Etwas Neues erschafft der Herr im Land: Die Frau wird den Mann umgeben" (Jer 31,22). Auf dieses Wort spielen wahrscheinlich auch die Kinderpaare auf den Pilastern des Thrones im Hintergrund an. Die zeitgenössische Bibelauslegung, die Michelangelo kannte, erkennt in dieser Prophetie "Die Frau wird den Mann umgeben" einen Hinweis auf die unbefleckte Empfängnis und die Jungfräulichkeit Mariens; einen Hinweis darauf, dass Gott in Maria etwas Neues, Reines, Heiliges schaffen wird, weil aus ihr schließlich der Erlöser geboren werden wird.
Die Hoffnung, mit der die rot-grüne Frau der weiß-blauen zu Hilfe kommt, ist also die Hoffnung auf den Erlöser, der selbst alles Leid tragen und dadurch überwinden wird.
Das haben wir ja schließlich auch im Evangelium gehört. Das Kreuz gehört unausweichlich zur Sendung Jesu dazu; und er lässt sich von niemandem davon abbringen, auch nicht von einem Petrus, der ihn kurz zuvor noch als den Messias bekannt hat.

Wenn wir uns also wie Jeremia in einer depressiven, melancholischen, jammernden Phase befinden, wenn uns alles zuviel wird, wenn wir einfach nicht mehr können, schauen wir auf zu Jesus am Kreuz, der stellvertretend für uns alles Böse, Schwere und Leidvolle bereits überwunden hat, und lassen wir uns so von ihm Hoffnung schenken!

Gedanken zur Bildbetrachtung sind inspiriert von:
VOGL, Wolfgang: Meisterwerke der christlichen Kunst zu den Schriftlesungen der Sonntage und Hochfeste. Lesejahr A, Regensburg ²2016, 357-363

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