Orgelfeierstunde im Advent (Veranstaltung des KBW Scheibbs)

Orgel: Mag. Felix Deinhofer;
Impulse: Mag. Alexander Fischer

Nicolaus Bruhns:
Choralimprovisation über "Nun komm, der Heiden Heiland"

Ich darf Sie alle zu unserer musikalischen Veranstaltung hier in der Scheibbser Stadtpfarrkirche sehr herzlich begrüßen. "Orgelfeierstunde im Advent" ist die Veranstaltung überschrieben. Es soll eben nicht einfach ein Konzert sein, sondern eine musikalische Adventbesinnung. Wir wollen uns besinnen, was Advent eigentlich bedeutet. Und da müssen wir als erstes sagen: Advent ist noch nicht Weihnachten. Advent ist die Zeit der Erwartung - Erwartung des Kommenden. Dieses Motiv der Erwartung bzw. des Kommens ist zentral: Der Erlöser kommt. Bzw. die Bitte: Komm, du Erlöser! Komm, der alles Heil macht! Komm, du Heiland!

Dieses Kommen wird sich auch wie ein roter Faden durch den heutigen Abend ziehen.

"Nun komm, der Heiden Heiland", in anderer Übersetzung: "Komm, du Heiland aller Welt" - Mit einer Improvisation von Nicolaus Bruhns zu diesem Kirchenlied, das auf den Hymnus "Veni redemptor gentium" des hl. Ambrosius von Mailand aus dem 4. Jahrhundert zurückgeht, haben wir den Abend musikalisch begonnen.

Und dieser Choral nimmt ein Zweites schon vorweg, das sich durch den Abend ziehen wird, nämlich das Heller-Werden. Die Musik hat ernst, fast düster begonnen. Eben jene Stimmung, aus der heraus die Bitte ergeht: "Komm, du Heiland aller Welt!" Aber im Verlauf der Improvisation hat Bruhns auch hellere, hoffnungsvolle Töne erklingen lassen. Auch im Text des alten Hymnus kommt diese Hoffnung durch, die Gewissheit, dass der Erlöser tatsächlich kommt: "Glanz strahlt von der Krippe aus" - so heißt es da gegen Ende.

Das ist ja die große Leistung der protestantischen Barockkomponisten gewesen: Texte in Musik zu übertragen. Einer, der das dann auf die Spitze getrieben hat, war Johann Sebastian Bach. Auch er hat den Choral "Nun komm, der Heiden Heiland" mehrfach verarbeitet. Wir hören jetzt zwei Stücke von Bach zu diesem Choral und sind danach eingeladne, selber darin einzustimmen.

Bevor wir endlich zu Bach kommen noch ein kurzer musikalischer Hinweis zum ersten der beiden Stücke, einem kurzen Stück aus dem "Orgelbüchlein". Da begegnet uns eine Akkordzerlegung, sprich: Die einzelnen Töne eines Akkordes werden in sinkender Tonhöhe nacheinander gespielt. Das will zum Ausdruck bringen: Gott steigt vom Himmel herab. Er kommt vom Himmel zur Erde. - Dieselbe Akkordzerlegung wird uns auch am Ende des heutigen Abends nochmals begegnen. Aber nun zu Bachs Interpretationen von "Nun komm, der Heiden Heiland". Lassen wir uns mitnehmen von der Musik; lassen wir uns durch die Bitte um das Kommen des Heilands aus der Dunkelheit unseres Lebens ins Licht führen!

Johann Sebastian Bach:
Zwei Choralbearbeitungen über "Nun komm, der Heiden Heiland" (BWV 599; BWV 659)

Gemeinsames Lied:
"Komm, du Heiland aller Welt" (Gotteslob 227)

Komm, du Heiland! Komm in unsere Nacht! Komm und zieh uns in dein Licht!

Wir hören aus einer Predigt des hl. Bernhard von Clairveaux aus dem 12. Jahrhundert zum Kommen des Herrn. Bernhard kennt ein dreifaches Kommen Christi: einmal in der Vergangenheit zu Weihnachten in Betlehem, einmal am Ende der Zeit, bei der Wiederkunft, wenn er endgültig kommt um alles zu vollenden, und einmal ein "mittleres" Kommen. Zu diesem mittleren Kommen schreibt er:

"Das mittlere Kommen ist verborgen. Bei der ersten Ankunft kam er im Fleisch und in Schwachheit, bei dieser mittleren kommt er in Geist und Kraft, bei der letzten in Herrlichkeit und Majestät. Das mittlere Kommen ist wie ein Weg, auf dem man vom ersten zum letzten gelangt; beim ersten war Christus unsre Erlösung, beim letzten erscheint er als unser Leben, in diesem mittleren Kommen gründen unsre Ruhe und unser Trost." (Lekt. z. StB II/1, 26f)

Eine Botschaft von Advent und Weihnachten könnte sein: Es ist derselbe, der am Ende als Richter wiederkommt und der vor 2000 Jahren als wehrloses Kind gekommen ist. Es ist derselbe, der jeden Augenblick unseres Lebens zu uns kommen und uns nahe sein will.

so dürfen wir, obwohl er schon auf diese Welt gekommen ist, in die sehnsuchtsvolle Bitte des Volkes Israel einstimmen, dem viele Jahrhunderte vor Christi Geburt die Zusage gegeben worden ist: Der Retter wird kommen; und er wird der "Immanuel" (auf deutsch: Gott mit uns) sein.

Veni, veni, Emmanuel. O komm, o komm, Immanuel - Ein Lied, das in der Musikgeschichte auchoft verarbeitet worden ist. Von Flor Peeters, einem Komponisten des 20. Jahrhunderst, hören wir jetzt eine Bearbeitung dieses Chorals und dürfen dann auch in den Gesang einstimmen: Veni, veni, Emmanuel - O komm, o komm, Immanuel.

Flor Peeters:
Veni, veni Emmanuel

Gemeinsames Lied:
Veni, veni Emmanuel, Captivum solve Israel

Johann Sebastian Bach:
Wachet auf, ruft uns die Stimme (BWV 645)

Das bekannte Orgelstück zu "Wachet auf, ruft uns die Stimme" von Johann Sebastian Bach, das wir soeben gehört haben, stammt ursprünglich aus einer Kantate, d. h. einer musikalischen Auslegung der liturgischen Texte - in unserem Fall nach protestantischer Ordnung vom 27. Sonntag nach Trinitatis. Die Version, die wir gehört haben, ist eine Orgeltranskription aus der Kantate, die Bach selbst für die sogenannten "Schübler Choräle" angefertigt hat.

Bevor wir die erste Strophe des betreffenden Liedes jetzt auch gemeinsam singen, hören wir das Evangelium, zu dem Bachs Kantate geschrieben worden ist: Mt 25,1–13 (32. Sonntag i. Jkr., Lj. A).

Gemeinsames Lied:
Wachet auf, ruft uns die Stimme (Gotteslob 554), 1. Str.

In der zweiten Strophe des Liedes, die der eigentliche Text zum Orgelstück aus der Kantate ist, wird das Motiv der wachenden Jungfrauen erweitert und mit anderen biblischen Anspielungen angereichert.

Wie bereits in der ersten Strophe ist Jerusalem, der Berg Zion, jetzt Schauplatz auch wenn das im Evangelium so nicht gesagt ist. Ja, Zion selbst, die Stadt Jerusalem, schlüpft nun in die Rolle der wartenden Jungfrauen: "Das Herz tut ihr vor Freude springen", wenn der Herr kommt. Wir können denken an den Einzug Jesu in Jerusalem am Palmsonntag. "Hosanna dem Sohne Davids!", so ist er freudig begrüßt worden. "Kreuzige ihn!", so hat der Jubelchor sich allerdings weniger Tage drastisch verändert.

Das Kommen Jesu stellt auch uns vor die Alternative! Nehmen wir ihn auf? Oder jagen wir ihn aus der Stadt hinaus? 

... Stille ...

Singen wir jetzt diese zweite Strophe: "Wir folgen all zum Freudensaal / und halten mit das Abendmahl." Ja, wir wollen ihn aufnehmen, wenn er kommt; ihn aufnehmen und ihm in seine Freude folgen!

Gemeinsames Lied:
Wachet auf, ruft uns die Stimme (Gotteslob 554), 2. Str.

Ja, wer Gott bei sich ankommen lässt; wer ihm folgt, der gelangt zur Freude. Das himmlische Jerusalem, das Bild für den Himmel im letzten Buch der Hl. Schrift, ist prächtig geschmückt: Perlen, Edelsteine etc. - Wir besingen es in der dritten Strophe.

Doch alles, was wir uns vorstellen können, kann die Freude noch immer nicht angemessen beschreiben. Die alttestamentlichen Propheten und der hl. Paulus sagen: Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was in keines Menschen Herz gedrungen ist, das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben.

Gemeinsames Lied:
Wachet auf, ruft uns die Stimme (Gotteslob 554), 3. Str.

Johann Sebastian Bach hat uns emotionsmäßig mit der heiteren Melodie von "Wachet auf, ruft uns die Stimme" wohl schon hingeführt zum Licht, das aufstrahlt, wenn der Herr zu uns kommt.

"Ecce, Dominus veniet" - "Sieh, der Herr kommt", so heißt ein Kehrvers aus der kirchlichen Stundenliturgie am ersten Adventsonntag, dessen gregorianische Melodie im folgenden Stück von Dupré verarbeitet ist. Und wenn wir diesen Liedruf danach auch dreimal immer einen Ton höher singen, dann kann uns die Musik auch nochmal vor Augen führen, dass das Kommen Christi an Weihnachten in Betlehem, zu jeder Stunde unseres Lebens und auch am Ende der Welt uns nicht in Angst und Schrecken versetzen, sondern uns hinaufziehen möchte in seine Freude und sein Licht.

Marcel Dupré:
Ecce Dominus veniet (op. 48/1)

Gemeinsames Lied:
Sieh, der Herr kommt in Herrlichkeit (Gottesob 622/4)

Advent ist die Vorbereitungszeit auf Weihnachten. Die beiden Noels aus der französischen Tradition, die wir jetzt noch hören, wollen uns einstimmen auf die Weihnachtsbotschaft, auf deren feier wir zugehen. Beide Stücke führen uns zum Hirtenmotiv, das ja untrennbar mit der Weihnachtsgeschichte verbunden ist. Zu dieser Thematik noch ein paar Gedanken von Papst Benedikt XVI., dessen Todestag sich in der Weihnachtszeit, am 31. Dezember, erstmals jähren wird. Er schreibt in seinem Jesus-Buch:

"'In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat der Engel des Herrn zu ihnen, und der Glanz des Herrn umstrahlte sie' (Lk 2,8f.). Die ersten Zeugen des großen Ereignisses sind wachende Hirten. Man hat viel darüber nachgedacht, was es bedeutet, dass gerade Hirten als Erste die Botschaft empfingen. Mir scheint, man sollte nicht zu viel Scharfsinn in diese Frage investieren. Jesus ist außerhalb der Stadt in einem Bereich geboren, in dem rundum Weidegebiete von Hirten mit ihren Herden waren. So lag es nahe, dass sie als dem Ereignis am nächsten Lebende als Erste zur Krippe gerufen wurden.

Natürlich kann man den Gedanken sofort weiterführen: Sie haben vielleicht nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich näher an dem Ereignis gelebt als die zufrieden schlafenden Bürger. Sie hatten es auch innerlich nicht weit zum Kind gewordenen Gott. Damit fügt sich zusammen, dass sie zu den Armen gehörten, zu den einfachen Seelen, die Jesus gepriesen hat, weil vor allem ihnen der Zugang zu Gottes Geheimnis gegeben ist (vgl. Lk 10,21f.). Sie vertreten die Armen Israels, die Armen überhaupt: Gottes erste Liebe.

Vor allem die Mönchstradition hat noch einen weiteren Akzent gesetzt: Sie waren Wartende. Die Mönche wollten in dieser Welt wachend sein - zunächst durch ihr nächtliches Gebet, aber vor allem innerlich wachend, offen für den Zuruf Gottes durch die Zeichen seiner Gegenwart." (JRGS 6/1, 88f)

Felix Alexandre Guilmant:
Noel pour le temps de l'Avent (op. 93/2)

Louis-Claude Daquin:
Noel en Musette, en Dialogue, et en Duo

Am Ende des heutigen musikalischen Programms stehen Präludium und Fuge in C-Dur von Johann Sebastian Bach. Und das ist aus zwei Gründen sehr passend:

  1. Das Präludium greift ein Motiv aus einer Dreikönigskantate auf: "Sie werden aus Saba alle kommen". Ja, wenn Jesus kommt, dann kommen auch alle Völker zu ihm. Dafür stehen die "hl. drei Könige". (Deshalb ist es auch nicht rassistisch, wenn einer der Sternsinger sein Gesicht traditionell schwarz schminkt - soll sagen: ALLE Menschen, ganz gleich aus welchem Volk oder von welcher Hautfarbe, sollen und dürfen zu Jesus kommen.)
  2. Die Fuge. "Komm, du Heiland aller Welt" - "Nun komm, der Heiden Heiland", mit diesem Stück haben wir den heutigen Abend begonnen. Und in der Fuge, die wir gleich hören werden, in der Bach das Pedal ungewöhnlich lange nicht besetzt hat, zitiert er vor dem Pedaleinsatz, wenn er dann sozusagen "endlich" kommt, seine Akkordzerlegung aus dem Choralvorspiel zu "Nun komm, der Heiden Heiland". So enthält die Fuge nach dem Präludium, das seinerseits auf den Dreikönigstag hinweist, eine Reminiszenz an die flehentliche Bitte: Komm!
So werden Präludium und Fuge zu der Zusage: Ja, er kommt tatsächlich. Mit dieser Zusage im Hinterkopf wollen wir nun die letzten Klänge dieser Orgelfeierstunde hören. Mit dieser Zusage darf ich Ihnen danach auch noch einen schönen Abend des zweiten Adventsonntags und ein frohes Hingehen auf das Weihnachtsfest wünschen!

Johann Sebastian Bach:
Präludium und Fuge in C-Dur (BWV 547)

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