Mariä Aufnahme in den Himmel - Am Tag


Liebe Brüder und Schwestern!

"Mit Leib und Seele ist er Jäger gewesen"; "Sie hat mit Leib und Seele für die ganze Familie gekocht"; "Sie sind mit Leib und Seele durch die Welt gereist" - Solche Sätze höre ich oft in Trauergesprächen, wenn mir vom Leben lieber Verstorbener berichtet wird. 

"Mit Leib und Seele" - Durch diese Floskel drücken wir aus, dass jemand etwas ganz und gar, sozusagen mit jeder Faser seines Körpers, tut, dass jemand ganz in einer Sache aufgeht, dass etwas die ganze Existenz einer Person erfüllt.

"Mit Leib und Seele" ist Maria in den Himmel aufgenommen, wie wir heute feiern. "Mit Leib und Seele" werden unsere lieben Verstorbenen, werden wir alle einmal auferstehen, wie es uns unser christlicher Glaube sagt. - "Mit Leib und Seele", also mit allem, was unser Leben ausmacht, mit allem, was zu unserer Persönlichkeit dazugehört. Nicht nur als rein geistlicher Vorgang, sondern leibhaftig, mit unserer ganzen leib-seelischen Existenz. Wenn das genaue Wie dieser Auferstehung, das genaue Wie der leibhaftigen Aufnahme Mariens in den Himmel auch Gott allein kennen mag, in diesem Glaubenssatz von der Aufnahme Mariens "mit Leib und Seele" bzw. von der Auferstehung der Toten "mit Leib und Seele" können wir erahnen: Gott geht es mit uns ums Ganze; es geht ihm nicht nur um Ausschnitte unserer Exsitenz, sondern ALLES an uns, wir selbst "mit Leib und Seele" sind von ihm auf ewig zum Dasein erschaffen, sollen von ihm auf ewig geliebt und angenommen werden.

"Mit Leib und Seele" - Der heutige Festtag kann eine Erinnerung sein, dass das Christentum keine rein "spirituelle" Religion ist. Im Alten Testament, in der Erfahrung des Volkes Israel, die ja auch zentral zu unserer heiligen Schrift dazugehört, da ist dieses leibhaftige Element ganz stark ausgeprägt. Die große Befreiungsgeschichte des Alten Bundes ist eben kein geistlicher Vorgang, etwa die Befreiung von bösen Geistern - oder noch nebulöser gesprochen: von irgendwelchen schlechten Energien. Nein, die große Befreiungsgeschichte des Volkes Israel ist die der Befreiung aus der Sklaverei, der Auszug aus Ägypten hinein in das Gelobte Land - und auf diese Urerfahrung von Befreiung folgen viele weitere kleinere und größere Wundertaten, bis hin zur wiederum leibhaftigen Befreiung aus dem babylonischen Exil oder den Makkabäeraufständen gegen das Seleukidenreich.

Liebe Brüder und Schwestern!

Im Antwortpsalm nach der ersten Lesung haben wir heute Verse aus dem Psalm 45 gehört, einem alten Hochzeitslied zur Hochzeit des Königs. Eine Hochzeit ist es, die da besungen wird - und zu einer Hochzeit gehört auch beides: Leib und Seele. Bei einer Hochzeit, gerade im jüdischen Verständnis, geht es nicht nur um irgendwelche Gefühle, sondern auch um die leibhaftige, ja sexuelle Vereinigung von Braut und Bräutigam. So beschreibt Psalm 45 in seinem ersten Teil sehr lange und ausführlich die leibhaftige, geradezu erotische Schönheit des Königs, des Bräutigams. Und im zweiten Teil, aus dem die Verse stammen, die heute vorgesungen worden sind, geht es um die leibhaftige Schönheit der Braut, die aufgefordert wird: "Höre, o Tochter, sieh her, neige dein Ohr ... der König verlangt nach deiner Schönheit"; und unter dem Geleit der Brautjungfrauen wird sie schließlich zum König geleitet, damit sich die Hochzeit, die geistige, aber auch leibhaftige Vereinigung von Bräutigam und Braut vollziehen kann.

In diesem Psalm ist vordergründig also die Rede von einer königlichen Hochzeit. Freilich, im Hintergrund steht das Bild, dass Gott selbst der König Bräutigam ist, dem das Volk Israel als seine Braut zugeführt wird. - In solch leibhaftigen Bildern beschreibt das Alte Testament die Verbindung zwischen Gott und seinem Volk. - Und in solch leibhaftigen Bildern dürfen wir die Kirche als Braut Gottes beschreiben.

Liebe Brüder und Schwestern!

Das heutige Hochfest stellt uns Maria vor Augen, als jenen Menschen, der in ganz besonderer und einzigartiger Weise die Braut Gottes geworden ist. Weil ihre Vereinigung mit Gott leibhaftig Frucht gebracht hat, weil sie den Sohn Gottes zur Welt bringen durfte, ist auch ihre Vereinigung mit Gott nach ihrem irdischen Dasein schon jetzt eine leibhaftige: "Mit Leib und Seele" wird sie Gott als dem König-Bräutigam zugeführt; "mit Leib und Seele", mit ihrer ganzen einmaligen Existenz.

So ist der heutige Tag nicht nur ein Festtag für die Gottesmutter, sondern für uns alle, weil uns das ewige Ziel vor Augen gestellt wird. Auch wir werden einmal "mit Leib und Seele" vor Gott stehen.

Fragen wir uns also hin und wieder: Wie könnte man über uns sagen? "Er war mit Leib und Seele dieses oder jenes." 

Er war "mit Leib und Seele" auf Gott ausgerichtet - das wäre ein schönes Lob; und deshalb wird er - wie Maria - auch "mit Leib und Seele", mit seiner ganzen Existenz, ewig in Gottes Freude geborgen sein. Arbeiten wir doch "mit Leib und Seele" daran, dass man das einmal über uns wird sagen können.

Zu den liturgischen Texten

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