26.06.2022 - Primizpredigt für Thorsten Rabel

Hochwürdiger Herr Primiziant!
Lieber Thorsten!

"Bedenke, was du tust, ahme nach, was du vollziehst, und stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes."

Mit diesen Worten hat dir der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, vor wenigen Tagen nach deiner Priesterweihe die "Gaben des Volkes für die Feier des Opfers" überreicht und dich damit daran erinnert, worin dein Priesterleben fortan zu bestehen hat. Nicht von großen Feierlichkeiten, von schönen Festen, von den angenehmen Seiten des Lebens ist da die Rede. "Stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes" - Du sollst nicht nur die Gaben des Volkes, dargestellt in Brot und Wein, vor Gott hintragen und so in das Opfer Christi hineinnehmen, sondern dein eigenes ganzes Leben unter dieses Geheimnis des Kreuzes stellen. 

Das Geheimnis des Kreuzes, das Geheimnis der Eucharistie: die liebende Hingabe Jesu an seinen himmlischen Vater im Heiligen Geist, die selbst den Schrecken des grausamen Kreuzestodes umfasst und diesem sinnlosen Akt der Gewalt so höchsten Sinn verleiht, die so alles Böse und Schlechte im Durchleiden überwindet; diese Hingabe Jesu an den Vater, die er ausweitet auf uns alle, in die er uns hineinnimmt und uns damit erlöst, das heißt uns hineinnimmt in die ewige Liebesbeziehung zwischen Vater und Sohn im Heiligen Geist; diese Hingabe Jesu ist es, die dein Priesterleben prägen soll - in besonders verdichteter Form, wenn du die hl. Messe feierst und durch deinen Dienst die Lebenshingabe Jesu geheimnisvoll gegenwärtiggesetzt wird, was du heute das erste Mal in feierlicher Weise tun wirst. Aber darüber hinaus soll eben dein ganzes Leben davon geprägt sein. Ein Priesterleben, und eigentlich das Leben jedes Christen, muss ein "eucharistisches" Leben sein, muss sich immer mehr bestimmen lassen von der Hingabe Jesu und versuchen, diese Hingabe an Gott und die Menschen selbst immer mehr zu vollziehen.

Ein durchaus anspruchsvolles Programm, das dir der Bischof bei der Weiheliturgie zugesprochen hat! Aber was das genau heißt, wie sich dieses Geheimnis des Kreuzes konkret in deinem Leben zeigen soll, das wird nicht dazugesagt. Das kann auch ich dir jetzt nicht sagen. Das bleibt die große Aufgabe, diesen Anspruch einzulösen und konkret werden zu lassen. Aber dieser Aufgabe haben wir uns alle, liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst, gestellt; und täglich neu müssen wir damit ringen, ihr gerecht zu werden.

Lieber Thorsten, als Primizspruch hast du dir einen Vers aus dem Buch der Klagelieder ausgewählt: "Gut ist der Herr zu dem, der auf ihn hofft, zur Seele, die ihn sucht." (Klgl 3,25) - Das klingt ja fürs Erste und für sich genommen ganz nett: Gott ist gut zu uns. Wir hoffen auf ihn, wir suchen ihn; und er lässt dieses Hoffen und diese Suche nicht unbeantwortet, sondern wendet sich uns in Güte zu. Ein tröstendes Wort also. Aber wenn man diesen Vers, deinen Primizspruch in seinem Kontext betrachtet, dann könnte der eine oder andere schon auf die Idee kommen zu fragen: Was bitteschön bewegt einen jungen Priester, ausgerechnet im Buch der Klagelieder nach seinem Primizspruch zu suchen? Warum ausgerechnet dieses Buch als Leitwort über einem beginnenden priesterlichen Dienst? Dein Primizspruch ist Teil der Thet-Strophe des dritten Klageliedes - Thet-Strophe deshalb, weil die drei Verse dieser Strophe im Hebräischen alle mit dem Buchstaben Thet beginnen. Diese Thet-Strophe ist in der Tat eine tröstende Strophe; alle drei Verse beginnen nicht nur mit demselben hebräischen Buchstaben, sondern mit demselben Wort twb - gut: Gott ist gut; und es ist gut sich entsprechend auf ihn zu verlassen. Aber Thet ist nicht der erste Buchstabe im hebräischen Alphabet. Bis der Autor des Liedes, der Tradition nach der Prophet Jeremia, bis zu dieser Einsicht gelangt, muss er sich durch die vorausgehenden Buchstaben geradezu durchkämpfen. Pro Buchstabe sind es jeweils drei Verse, von denen ich jetzt nur je einen herausgreife: 

Aleph: "Ich bin der Mann, der Leid erlebt hat" (3,1)

Beth: "Er zehrte aus mein Fleisch und meine Haut, zerbrach meine Glieder" (3,4)

Gimel: "Wenn ich auch schrie und flehte, er versperrte den Weg meinem Gebet" (3,8)

Daleth: "Er spannte den Bogen und stellte mich hin als Ziel für den Pfeil" (3,12)

He: "Er speiste mich mit bitterer Kost und tränkte mich mit Wermut" (3,15) (und auch wenn du auch manch bitterem Getränk durchaus nicht abgeneigt bist, lieber Thorsten, so ist damit in der Bibel sicher keine Wohltat gemeint)

Waw: "Ich habe vergessen, was Glück ist" (3,17)

Zajin: "Immer denkt meine Seele daran und ist betrübt in mir" (3,20)

Keine schöne Erfahrung ist es, die Jeremia hier beschreibt, die er in seiner Klage vor Gott hinbringt. Das dürfen wir aus dieser kleinen Auswahl an Versen erahnen, die ich jetzt zitiert habe und die wir teilweise auch in der Lesung gehört haben. Und doch veranlassen ihn gerade diese schlechten Erfahrungen, in der Chet-Strophe, die folgt, zu bekennen:

"Die Huld des Herrn ist nicht erschöpft, sein Erbarmen ist nicht zu Ende. Neu ist es an jedem Morgen, groß ist deine Treue. Mein Anteil ist der Herr, sagt meine Seele, darum harre ich auf ihn" (3,22-24)

Und Jeremia fährt in der Thet-Strophe mit deinem Primizspruch fort: "Gut ist der Herr zu dem, der auf ihn hofft, zur Seele, die ihn sucht." (3,25)

Liebe Festgäste, liebe Brüder und Schwestern!

Etwas paradox klingt das alles wahrscheinlich für Sie. Da ist von großem Leid, von schweren Prüfungen, modern gesagt: von einer tiefen Depression Jeremias die Rede - und ausgerechnet das veranlasst ihn, sich zur Güte Gottes zu bekennen und auf ihn zu hoffen. Wie kommt er dazu? - Und nein, eine einfache Antwort darauf werde ich Ihnen nicht liefern können. Eine einfache Antwort darauf hält auch das dritte Klagelied in den folgenden Strophen nicht parat - es wären noch ungefähr vierzig Verse, die auf die heutige Lesung folgen würden. Aber auch hier wechseln Klage über erlittenes Leid und Bekenntnis zur Güte Gottes einfach unvermittelt ab.

Es ist wohl ein Geheimnis, wie jemand, der so viel Leid erfahren hat wie Jeremia, nicht verzweifelt, wie er aus seiner Depression heraus sogar die feste Zuversicht formulieren kann: Gott ist gut - und zwar nicht nur in sich selbst gut, sondern er ist gut zur Seele, die ihn sucht, er ist gut zu mir.

Lieber Thorsten!

Du hast mir gesagt, du hast deinen Primizspruch gewählt, weil du ganz ähnlich wie Jeremia durch verschiedene Schicksalsschläge hindurch trotzdem erfahren durftest, dass dein Leben ein Geschenk ist. Den Tod deines Vaters hast du explizit angesprochen - und in diesem Sinn hat auch das heutige Evangelium für dich eine besondere Bedeutung, die ich jetzt gar nicht öffentlich ausschlachten möchte. Über manch andere Schwierigkeitkeiten haben wir ebenfalls bereits oft längere Gespräche geführt; und wahrscheinlich bin ich damit nicht der einzige. Und doch glaube ich, dass dich niemand, der heute hier ist, als einen depressiven oder verbitterten Zeitgenossen beschreiben würde. Wohl als einen nachdenklichen - ich bin mir auch sicher, viele von uns sind bereits zu später Stunde mit dir nicht nur in den Genuss des einen oder anderen alkoholischen Getränks, sondern in Folge auch mancher philosophischen Ausführungen über Gott und die Welt gekommen. Nachdenklich, kritisch, hinterfragend - ja; aber verzweifelt, lebensmüde, depressiv - ganz sicher nicht.

Wie gesagt, es bleibt ein Geheimnis, wie sich Jeremia zu seinem hoffnungsvollen Bekenntnis durchringen kann. Es mag ein Geheimnis bleiben, wie du trotz mancher Schicksalsschläge ein durchaus fröhlicher Zeitgenosse, Bundesbruder und Freund bist und in Zukunft hoffentlich auch ein fröhlicher Priester bleiben wirst. Aber dass du mit der Wahl deines Primizspruchs gerade diesen Aspekt hervorhebst, ist geradezu eine Spiegelung des Auftrags des Bischofs, dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes zu stellen - und damit der Ansatz einer Antwort auf diese Fragen, die wir mit rein menschlichen Maßstäben wohl nie beantworten werden können.

Lieber Thorsten!

Man könnte vieles über das Priestertum sagen. In den wenigen Jahren, die ich nun selbt Priester bin, habe ich viele unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Manch anderer Mitbruder, der heute hier ist, könnte sicher aus einem weit größeren Erfahrungsschatz berichten. Und ich darf dich beruhigen, es ist bei weitem nicht nur das Kreuz, das im Vordergrund steht. Priesterleben=Opferleben - diese Gleichung hat sicher ihre Berechtigung, aber auch du wirst sie nicht immer als Last erfahren, da bin ich mir sicher. Doch ich wünsche dir, dass dich dein Primizspruch immer daran erinnert, was die Quelle deines Priesterlebens ist, woraus es seine Kraft bezieht - nämlich paradoxerweise aus dem "Geheimnis des Kreuzes", aus jenem Moment des Lebens Jesu, wo seine Ohnmacht am größten scheint. Als Priester verkörperst du Jesus in seiner Hingabe, bist der sichtbare Garant für die dir anvertrauten Menschen, dass sie nicht um sich selbst kreisen, sondern von ihm beschenkt werden, dass er seiner Ohnmacht so einen Sinn gibt und sie zum Ausdruck seines Sich-Verschenkens macht.

Wenn du die Sakramente spendest, wenn du in persona Christi Capitis die Messe feierst, wenn du auch sonst einfach für die Menschen da bist, sei dir bewusst, dass auch das ein Ausdruck des Kreuzes Christi ist!

Wenn du in deinem Priesterleben auch auf manche Widerstände treffen wirst, wenn es dir ergeht wie Jeremia in den Klageliedern, dann vergiss nicht auf deinen Primizspruch!

Wenn es dir schließlich gelingt, ein Zeichen für die Welt zu sein, dass Jesus nicht alles Leid von uns fernhält, aber es gemeinsam mit uns durchleidet und so überwindet, dann hast du wirklich dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes gestellt.

"Gut ist der Herr zu dem, der auf ihn hofft, zur Seele, die ihn sucht" - Ich wünsche dir, dass du diese Erfahrung, die du in deinem bisherigen Leben machen durftest, auch als Priester immer wieder machen und anderen ermöglichen kannst. So darf ich dir, bevor du nun das erste Mal feierlich das Opfer Christi feierst, nochmals mit den Worten des Bischofs zurufen:

"Bedenke, was du tust, ahme nach, was du vollziehst, und stelle dein Leben - ich möchte ergänzen: weiterhin - unter das Geheimnis des Kreuzes."


Zu den liturgischen Texten (13. Sonntag i. Jkr. Lj. C)

Abweichend zu den Schrifttexten vom Sonntag hat der Primiziant als erste Lesung Klgl 3,17-26 gewählt, wo sein Primizspruch vorkommt.

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