Orgelkonzert mit Impulsen zur Einstimmung auf die Karwoche: "O Haupt voll Blut und Wunden - Romatische Orgelmusik zur Passionszeit"
(Franz Xaver Müller, Präludium "Passion")
Liebe Gäste des heutigen Abends!
Ich darf Sie alle im Namen der Pfarre Scheibbs sehr herzlich begrüßen, besonders den Organisten des heutigen Abends, Mag. Felix Deinhofer, der uns ja in Scheibbs kein Unbekannter ist und der uns mit dem ersten Orgelstück auch schon musikalisch an das Thema des heutigen Abends herangeführt hat: „O Haupt voll Blut und Wunden – Romantische Orgelmusik zur Passionszeit“.
Sicher haben Sie die Melodie des Chorals „O Haupt voll Blut und Wunden“ in dem Präludium von Franz Xaver Müller wiedererkannt. Der Komponist dieses Stückes ist übrigens gar nicht weit von hier beheimatet gewesen. Er war Augustiner Chorherr im Stift St. Florian und hat vor allem auch in Linz gewirkt. Seine Musik ist stark geprägt von dem berühmten Anton Bruckner, der von 1845–1855 Stiftsorganist in St. Florian gewesen ist.
Das Präludium, das uns eben zu Gehör gebracht wurde, ist aus zwei Gründen ganz gut geeignet für den Einstieg in den heutigen Abend. Einerseits greift es eben in der Melodieführung den Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“ auf, der namensgebend für unsere Veranstaltung ist; und anderseits ist auch der Anlass für die Komposition der heutigen Veranstaltung sehr ähnlich. Franz Xaver Müller komponierte das Präludium nämlich für eine Veranstaltung im Linzer Redoutensaal am 27. März 1925, die den Titel „Die Passion“ trug. Durch die Orgelmusik Müllers, der selbst das Harmonium spielte, sowie durch Lichtbilder und das Mitwirken eines Chores wollte die Veranstaltung 1925 einstimmen auf die beginnende Passionszeit, die der Betrachtung des Leidens und Sterbens Jesu gewidmet ist. – Und ganz ähnlich wollen wir uns eben auch heute, unterstützt durch die Musik, einstimmen auf die Karwoche, in der wir als Christen dieses große Geheimnis unseres Glaubens feiern.
Bevor wir aber nach dieser kleinen Ouvertüre, die das Motiv „O Haupt voll Blut und Wunden“ schon anklingen hat lassen, unsere Gedanken zum Leiden und Sterben Jesu vertiefen, wollen wir uns mit einer Sonate von Josef Labor einer anderen Motivik zuwenden. Der böhmisch-österreichische Komponist Josef Labor, dessen Todestag sich am 26. April zum 100. Mal jährt, hat in der Sonate, die wir gleich hören werden, im ersten Satz die Melodie des evangelischen Chorals „Nun sich der Tag geendet hat“ verarbeitet. – Dem Text nach ist dieser Choral ein Abendlied, das gelegentlich auch bei Beerdigungen zu hören ist. Der Abend, die Nacht, der Schlaf als Bild des Todes – als ein Bild, das aber auch Hoffnung gibt: Der Schlaf ist vorübergehend; und nach einem guten Schlaf startet man mit neuer Kraft in den Tag – also nicht nur Bild des Todes, sondern auch der Auferstehung. – Und damit hat es nun doch wieder viel mit der Karwoche zu tun, die uns ja auch durch Leiden und Sterben Jesu hinführen will zum Osterfest, zur Auferstehung. Bei aller Dramatik, die uns in der Passion begegnet, und die kunstvoll in die Musik umgesetzt wird, dürfen wir auch das nicht vergessen.
(Josef Labor, Sonate in h-Moll)
Nach dieser ausführlichen musikalischen Würdigung von Josef Labor, dessen 100. Todestag wir, wie gesagt, Ende April begehen, kommen wir nun zu zwei expliziten Passionskompositionen.
Der bekannte deutsche Komponist Max Reger verarbeitet im ersten der beiden Stücke, die wir gleich hören werden, die Melodie des Liedes „Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen“, das vielleicht einige von Ihnen kennen werden. Wenn Sie eventuell während des Stücks ein wenig auf dieses Lied schauen wollen, es ist im Gotteslob unter Nr. 290 enthalten.
Und das zweite Stück, das uns gleich geboten wird, stammt vom Franzosen Alexandre Guilmant, der die beliebte Sequenz zur Schmerzensmutter „Stabat mater“ meditiert. Die Melodie, die er dabei zugrundelegt, ist bei uns zwar weitgehend unbekannt, aber unter der deutschen Übersetzung „Christi Mutter stand mit Schmerzen bei dem Kreuz und weint‘ von Herzen“ ist das „Stabat mater“ vielen von uns durchaus auch bekannt. Auch hier können Sie, parallel zum Hören der Musik, den Text dann gerne im Gotteslob lesen, Nr. 532.
Es sind zwei Stücke, die uns zu Mitleid bringen wollen.
„Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen, dass man ein solch hart Urteil hat gesprochen? Was ist die Schuld? In was für Missetaten bist du geraten?“ – Unverständnis darüber, dass jemand leiden muss; besonders darüber, dass jemand unschuldig leiden muss.
Mitleid mit Jesus, Mitleid mit dem Leidenden, Mitleid insbesondere mit dem unschuldig Leidenden – Diese Schlagworte können uns nachgehen, wenn wir die Musik hören – und wir werden sicher auch in unserem Leben immer wieder Menschen begegnen, die unschuldig leiden müssen, denen wir unser Mitleid schenken können.
Und wenn wir dann mit dem „Stabat Mater“ auf Maria schauen, die beim unverschuldeten Verbrechertod ihres Sohnes tapfer unter dem Kreuz steht, dann wird uns die Musik zur Aufforderung, nicht wegzusehen, wenn uns unverschuldetes Leid begegnet, sondern unser Mitleid auch durch unser Dasein, durch unseren Einsatz für den Bruder in Not, auszudrücken.
(Alexandre Guilmant, Méditation sur le Stabat Matera)
Mit Maria beim Kreuz stehen - Sich selber unter das Kreuz stellen; diese Aufforderung ist mit dem "Stabat mater" angeklungen.
Und das bringt uns zum namensgebenden Motiv des heutigen Abends: „O Haupt voll Blut und Wunden“. Denn dieser Choral hat seinen Ursprung in der mittelalterlichen Passionsmystik, die sich eben auch ganz bewusst unter das Kreuz stellen wollte.
Nachdem in der Antike und in der Frühzeit des Christentums die Gottheit Jesu im Vordergrund der Spiritualität gestanden ist, man sich die göttliche Herrlichkeit vor Augen geführt hat – man merkt das auch daran, dass frühchristliche Kreuzesdarstellungen, wenn es solche überhaupt gibt, selten den leidenden Christus darstellen – nachdem man den Fokus also auf das Überirdische des christlichen Glaubens gelegt hatte, hat man im Laufe des Mittelalters begonnen, sich auch verstärkt der wahren Menschheit Jesu zuzuwenden, die Person des Erlösers als solche in den Mittelpunkt zu stellen.
Ein Ausdruck dieser Wende ist die hochmittelalterliche „Rhythmica oratio ad unum quodlibet membrorum Christi patientis et a cruce pependentis“ = das „rhythmische Gebet an jedes einzelne Glied des leidenden und am Kreuz hängenden Christus“, das sich der Reihe nach an die Füße, die Knie, die Hände, die Seite, die Brust, das Herz und das Antlitz Jesu richtet. Früher wurde dieses Gebet oft dem Zisterzienserabt Bernhard von Clairveaux zugeschrieben, der eine ausgeprägte Passionsfrömmigkeit etablierte, seit Beginn des 20. Jahrhunderts schreibt man es eher Arnulf von Löwen zu, der aber ebenfalls Zisterzienserabt gewesen ist und so ganz in der bernhardinischen Tradition steht.
Von diesem Gebet hat sich vor allem der letzte Teil ad faciem, zum heiligen Antlitz durchgesetzt: "Salve caput cruentatum", das auch die Vorlage für den neuzeitlichen deutschen Text „O Haupt voll Blut und Wunden“ gewesen ist.
„O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn, o Haupt, zum Spott gebunden mit einer Dornenkron, o Haupt, sonst schön gekrönet mit höchster Ehr und Zier, jetzt aber frech verhöhnet, gegrüßet seist du mir“
Wenn wir im zweiten Teil des heutigen Abends jetzt gleich verschiedene Choralbearbeitungen zu diesem bekannten Passionschoral hören werden, können Sie auch gerne wieder im Gotteslob Nr. 289 aufschlagen, um, unterstützt durch die Musik, vielleicht auch ein wenig den Text zu meditieren.
Bevor wir nun aber wieder zur Musik und zwischen den einzelnen Stücken zu kurzen Impulsen zu „O Haupt voll Blut und Wunden“ kommen, noch ein Wort zu der Melodie, die uns heute selbstverständlich als Passionsmelodie vor Augen steht und die wir deshalb auch ohne Text entsprechend konnotiert haben. Interessant ist, dass sie das aber ursprünglich gar nicht war. Sie stammt von Leo Haßler, der damit eigentlich ein Liebeslied unterlegt hat: „Mein Gmüt ist mir verwirret, das macht ein Jungfrau zart“. Ich weiß nicht, was sich Paul Gerhardt gedacht hat, als er gerade die Melodie eines leidenschaftlichen Liebesliedes für seinen Passionshymnus gewählt hat. Aber vielleicht kann es uns sagen, dass Liebe und Für-den-anderen-Leiden durchaus zusammengehören. In den romanischen Sprachen hat das lateinische Wort "passio" bzw. die modernen Äquivalente – wie auch das englische "passion" – durchaus diesen doppelten Klang: Leiden und Leidenschaft.
Im Leiden Jesu drückt sich seine Leidenschaft für uns Menschen aus.
Im leidenschaftlich-liebenden Betrachten seiner Passion dürfen wir darauf antworten.
(Es folgen fünf verschiedene Choralbearbeitungen, dazwischen jeweils ein kurzer Impuls:)
„Du edles Angesichte, davor sonst schrickt und scheut das große Weltgewichte; wie bist du so bespeit; wie bist du so erbleichet; wer hat dein Augenlicht, dem sonst kein Licht nicht gleichet, so schändlich zugericht?“
Paulus schreibt: „Christus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“
Ja, Jesus ist Gottes Sohn. In ihm tritt Gott selbst in die Welt ein. Aber er tritt nicht mit göttlicher Majestät an uns heran, sondern verborgen – und wenn wir an die Passion denken: geradezu verkannt und entstellt.
Sich zum leidenden Christus stellen, ihm nachfolgen: Das kann heißen, sich selbst zurückzunehmen; demütig zu werden; seinem eigenen Geltungstrieb nicht nachzugeben.
Zu Christus und seiner göttlichen Herrlichkeit hinfinden: Das kann heißen, ihn auch dort zu suchen, wo wir ihn nicht erwarten: Im Unscheinbaren, im Leidenden, im Verachteten.
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„Die Farbe deiner Wangen, der roten Lippen Pracht ist hin und ganz vergangen, des blassen Todes Macht hat alles hingenommen, hat alles hingerafft. Und so bist du gekommen von deines Leibes Kraft“
Im vierten Lied vom Gottesknecht heißt es beim Propheten Jesaja: „Er hatte keine schöne und edle Gestalt, sodass wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen fanden an ihm. Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; wir schätzten ihn nicht.“
Doch genau so wird uns Jesus am Karfreitag gezeigt: Ecce homo – Seht, da ist der Mensch. So sagt es Pilatus, wenn er der Menge den dornengekrönten Schmerzensmann präsentiert. So auch das Bild, das wir in „O Haupt voll Blut und Wunden“ betrachten. Kein Bild, das man gerne anschaut. Ein brutales Bild, und doch müssen wir nicht wegschauen; doch können wir es ertragen, weil der, den wir eigentlich nicht anschauen wollen, uns anschaut. Weil er uns trotz allen Leids, das er erdulden muss, seine Liebe, ja seine göttliche, alles durchdringende und heilmachende Liebe zuwendet.
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„Was du, Herr, hast erduldet, ist alles meine Last; ich, ich hab es verschuldet, was du getragen hast.“
Im vierten Gottesknechtslied, aus dem ich vorhin bereits das Bild vom Schmerzensmann, den man nicht einmal anschauen möchte, zitiert habe, heißt es weiter: „Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt. Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Vergehen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Züchtigung auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt.“
Unsere Schuld als Menschen ist groß, das kann jeder von sich sagen, wenn er ehrlich ist. Und das gilt auch für die Menschheit als ganze. Wenn man es religiös ausdrückt: Wir bewegen uns durch unsere Sünden, indem wir uns von dem entfernen, was Gott für uns zu unserem Wohl vorgesehen hat, auch von ihm weg. Die Folge unserer Schuld ist, dass wir unser eigentliches Ziel, die liebende Gemeinschaft mit Gott verfehlen.
Ausdruck der Liebe kann es sein, für jemand anderen die Folgen der Schuld zu tragen. Die Verantwortung anstelle eines geliebten Menschen zu übernehmen. „Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm“ – er trägt die Folgen unserer Schuld, er begibt sich in Gottverlassenheit, Leid und Tod, in die Folgen unserer Gottvergessenheit. Und er, weil er Gott selbst ist, kann sie so von innen her auf-lösen; er kann so uns er-lösen.
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„Ich danke dir von Herzen, o Jesu, liebster Freund, für deines Todes Schmerzen, da du’s so gut gemeint“
- Zu dieser Reaktion ehrlich empfundener Dankbarkeit, ja liebender Hingabe an Jesus, der stellvertretend für uns das Leiden auf sich nimmt, möchte uns der Passionshymnus führen. Dankbarkeit dafür, dass nichts, ja nichteinmal Leid und Tod uns von seiner Liebe trennen können.
In dieser Zuversicht können wir unsdann angesichts von Leid und Tod auch in unserem eigenen Leben an ihn wenden:
„wenn ich einst erkalte, in dir mein Ende sei. Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir. Wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür.“
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Am Ende dieses musikalischen Abends, der uns einstimmen wollte auf die Feier der Karwoche, darf ich mich bei allen bedanken, die gekommen sind. Ein besonderer Dank geht einerseits an das Katholische Bildungswerkt, das der Veranstalter des heutigen Abends gewesen ist; und anderseits natürlich an unseren Organisten Felix Deinhofer. – Ich weiß, dass es Ihnen jetzt schon unter den Nägeln brennt, Ihre Anerkennung mit Applaus zu bekunden, aber ich bitte Sie, sich damit noch kurz zu gedulden.
Nachdem wir nämlich so viel über das Lied „O Haupt voll Blut und Wunden“ meditiert haben, wäre es doch schade, wenn wir auseinander gehen, ohne wenigstens die erste Strophe gemeinsam zu singen. Gotteslob, Nr. 289. – Und während Sie jetzt das Gotteslob aufschlagen, wenn Sie es nicht ohnehin schon vor sich liegen haben, darf ich Ihnen allen ein gesegnete Karwoche und ein frohes Osterfest, sowie für heute erstmals einen schönen restlichen Abend wünschen!
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