Gründonnerstag - Messe vom Letzten Abendmahl

Liebe Brüder und Schwestern!

Ich weiß nicht, ob sie es schon bemerkt haben, wenn sie durch den vorderen Kircheneingang gegangen sind: Seit einiger Zeit steht dort ein Reliefkunstwerk aus zwei massiven Steinteilen, das aus der frühen Neuzeit stammt und die Ölbergszene zeigt: Vom Betrachter aus rechts Jesus, der im Garten Getsemani betet und von einem Engel gestärkt wird; links die drei Jünger, die eingeschlafen sind und darüber bereits Judas, der mit den Soldaten zur Gefangennahme Jesu kommt.

Dieses Kunstwerk stammt aus dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts und ist bis vor kurzem als Dauerleihgabe im St. Pöltner Diözesanmuseum gewesen, das es jetzt wieder an die Pfarre Scheibbs zurückgegeben hat. Wenn man die Art und Weise der Darstellung mit dem großen barocken Ölberg vor der Kirche vergleicht, legt sich der Schluss nahe, dass das alte Steinrelief durchaus als Vorlage für diesen großen Ölberg gedient hat, wo heute im Anschluss an die Messfeier auch wieder die Ölbergandacht sein wird.

Aber zurück zu unserem Steinrelief im Kirchenvorraum. Wenn Sie es schon betrachtet haben oder es demnächst anschauen werden, fällt Ihnen sicherlich auf, dass Jesus die Arme und der Kopf fehlen. Vermutlich sind diese schon vor langer Zeit im Zuge eines Vandalismusaktes abgeschlagen worden; und es hat sich nie jemand die Mühe gemacht, das Kunstwerk zu restaurieren (wahrscheinlich auch, weil es zwischenzeitlich eben bereits den großen barocken Ölberg vor der Kirche gegeben hat). Ich möchte dieses Motiv von Jesus, dem Hände und Gesicht fehlen, aber heute aufgreifen und versuchen, es spirituell zu deuten. Denn gerade dieses zerstörte Kunstwerk kann, so meine ich, eine Botschaft an uns richten.

Jesus fehlt sein Gesicht. Wir dürfen das als Aufforderung sehen, dass wir Jesus unser Gesicht leihen. So möchte ich daraus an jeden einzelnen von uns die Frage formulieren: Wie kann ich Jesus mein Gesicht leihen. Wie kann ich dazu beitragen, dass meine Mitmenschen Jesus erkennen? Dadurch, dass ich andere auch ausdrücklich auf ihn anspreche? Dass ich das Evangelium, die Frohe Botschaft, weitertrage? Durch meine ganze Ausstrahlung, die davon kündet, wie er an mir gehandelt hat und auch an anderen handeln möchte? Wie kann ich Jesus mein Gesicht leihen?

Und dann die zweite Frage, denn Jesus fehlen auch die Hände: Wie kann ich Jesus meine Hände leihen? Durch manche gute Tat? Durch kräftiges Mitanpacken, wo meine Hilfe gefordert ist? Dadurch, dass ich jemandem die Hand reiche, der einsam ist oder einen Wegbegleiter braucht? Dadurch, dass ich meine Hände zum Gebet - auch für andere - erhoben halte? Wie kann ich Jesus meine Hände leihen?

Liebe Brüder und Schwestern!

"Die Homilie handelt von den großen Geheimnissen, deren Gedächtnis in dieser Messe gefeiert wird, von der Einsetzung der Eucharistie und des Priestertums und vom Gebot der Bruderliebe."

Habe ich diese Anweisung des Messbuchs für die Predigt bei der Messe vom Letzten Abendmahl jetzt übertreten, wenn ich stattdessen davon gesprochen habe, dass wir Jesus unser Gesicht und unsere Hände leihen sollen?

Ich denke nicht, denn 

  • sich von Ihm, den wir in der Eucharistie empfangen, verwandeln zu lassen und diese Verwandlung auch auszustrahlen; 
  • ihn, der in der Eucharistie auf sakramentale Weise wirklich gegenwärtig ist und bleibt, auch durch unser christliches Leben in der Welt präsent zu halten;
  • ihn, der uns heute in der Fußwaschung ein Beispiel gelebter Demut und Nächstenliebe gegeben hat, nachahmen und unseren Brüdern und Schwestern in Not helfen;
all das hat sehr wohl etwas mit dem Festgeheimnis des heutigen Tages zu tun. So bleibt es bei meinen Fragen, die wir uns immer wieder neu stellen dürfen:

Wie leihe ich Jesus mein Gesicht?
Wie leihe ich Jesus meine Hände?

Zu den liturgischen Texten

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