3. September 2022 (Amelungenhadsch, Mariazell)

Liebe Bundesbrüder, liebe Wallfahrer,
liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Gestern am Mariahilfberg haben wir die Vision am Beginn des Jesajabuches betrachtet von den Schwertern, die zu Pflugscharen umgeschmiedet werden. Und wir haben ernüchtert feststellen müssen, dass wir offensichtlich nicht in jener Zeit leben, in der sich diese Vision bewahrheitet. Doch wir dürfen fragen: Hat sie sich denn überhaupt für das Volk Israel damals bewahrheitet? Folgt nicht, im zweiten Teil des Jesajabuches, eine Episode der Geschichte Israels, die wir als das große babylonische Exil kennen? Zwangsdeputation, drohender Verlust der eigenen Volksidentität, ungewisse Zukunft! - Nein, auch das Volk Israel im zweiten Teil des Jesajabuches lebte wahrlich nicht in der Zeit, von der der Prophet gesprochen hat.

Doch dann geschah es: Im Jahr 538 v. Chr. schenkte der Perserkönig Kyrus dem Volk Israel die Freiheit. Große Hoffnungen sind geweckt. Bricht jetzt für das Volk endlich jene Zeit an, in der die Schwerter zu Pflugscharen werden? In einem Psalm wird das Gefühl so ausgedrückt: "Als der Herr das Los der Gefangenschaft Zions wendete, da waren wir alle wie Träumende. Da war unser Mund voll Lachen und unsere Zunge voll Jubel."

Doch bald darauf müssen die Heimkehrer feststellen, dass sie zu voreilig in Jubel ausgebrochen sind. Ihr Land ist natürlich inzwischen besiedelt worden - und die neuen Einwohner denken gar nicht daran, die alten Besitzverhältnisse wiederherzustellen. Der Wiederaufbau der Stadt Jerusalem und der Neubau des Tempels gestalten sich äußerst schwierig. - Keine neue Glanzzeit für Israel, sondern wieder eine neue dunkle Episode, düstere Stimmung.

Und in dieser neuen Dunkelheit wird der Prophet Jesaja berufen, die alte Zusage Gottes zu erneuern - wir haben es in der Lesung gehört. Es stimmt: "Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker". Doch Jerusalem soll licht werden! Jerusalem soll leuchten und zum Leuchtturm inmitten der Dunkelheit werden - freilich nicht aus eigener Kraft, sondern Gott selbst wird kommen und die Stadt zum Strahlen bringen: "Auf, werde licht, Jerusalem, denn es kommt dein Licht, und die Herrlichkeit des Herrn geht leuchtend auf über dir." Die alte Vision von der Völkerwallfahrt wird erneuert: "Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz ... Sie alle kommen von Saba, bringen Weihrauch und Gold und verkünden die ruhmreichen Taten des Herrn."

Liebe Brüder und Schwestern!

Ist das nicht immer neue Vertröstung? Wann kommt endlich diese Zeit? - Die großen Visionen des Jesajabuchs und der anderen Prophetenbücher enthalten einen Überschuss an Verheißung, der tatsächlich nicht eingelöst wird - und dessen Erfüllung bis heute aussteht. Denn auch heute müssen wir mit Blick in die Weltgeschichte sagen: "Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker"; und wir sind weit davon entfernt, dass von Jerusalem bzw. von der Kirche jenes Licht des Herrn ausstrahlt, das alle Menschen friedlich versammeln und die Zeit des Heiles einläuten könnte.

Und doch dürfen wir als Christen sagen: Die alten Verheißungen haben sich erfüllt. - Vielleicht nicht gleich auf den ersten Blick sichtbar und anders als erwartet. Aber Jesus Christus ist die Erfüllung der alten Sehnsucht. Wenn wir uns aufgemacht haben und jetzt am Ziel unserer Wallfahrt angekommen sind, dürfen wir das hoffentlich auch spüren: Bei ihm ist jenes Licht, das tatsächlich alle Finsternis erhellen kann, das Frieden, Sicherheit und Leben ermöglicht - auch wenn dieses Licht möglicherweise angesichts von Krieg, Unsicherheiten und Tod allzu klein erscheinen mag.

Liebe Wallfahrer!

In der Vision des Jesaja führt die Wallfahrt der Völker hin zum Licht auf dem Gottesberg. - Und ich denke, wir dürfen dieses Bild ruhig weiterspinnen. Wenn wir nach Mariazell gewallfahrtet sind und einen Funken dieses Lichtes spüren dürfen, dann ist unsere Wallfahrt nicht zu Ende, sondern eigentlich erst am Anfang. Wir sind berufen, dieses Licht weiterzutragen - hinein in die Dunkelheit dieser Welt; so wie Maria Jesus in ihrem Schoß zu ihrer Verwandten Elisabeth getragen hat. Dann kann das kleine Licht tatsächlich zum Lauffeuer werden und die Welt zum Guten verwandeln. Dass auch wir dazu unseren Beitrag leisten dürfen, das wünsche ich uns hier an diesem Gnadenort, und dazu erbitten wir uns die mächtige Fürsprache Unserer Lieben Frau von Mariazell, zu der bereits unzählige Pilger vor uns gekommen sind aus den verschiedensten Dunkelheiten ihres Lebens und die ihre mütterliche Hilfe hier erfahren haben.

Schrifttexte der Eigenmesse "Unsere Liebe Frau zu Mariazell": Jes 60,1-6; Lk 1,39-47

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